Wächter des Mythos (German Edition)
Um diese Codeschrift zu entziffern, benötigen wir den Schlüssel, der hier in O’Cebreiro in der Kirche verborgen ist.«
»Demnach haben Sie die Botschaft bereits und wir suchen jetzt nach dem Code?«
»Nein, ich habe den Code. Was ich hier im Ort suche, ist der Schlüssel, um den Code dechiffrieren zu können. Die Botschaft ist in unserem Fall also das dritte Element, denn es gibt den Code, den Schlüssel und die Botschaft. Daher ist die Botschaft nur über eine Codeschrift erkennbar, und die Botschaft selbst ist nur durch den Schlüssel lesbar. Mein Vater hat mir dazu ein paar rätselhafte Reime als Hinweise hinterlassen, das ist alles.«
»Und wo befindet sich diese scheinbar unsichtbare Botschaft?«
»Darüber bin ich mir noch nicht im Klaren. Zumindest weiß ich aber, wie die Botschaft aussehen wird, da ich die Zeichen auf dem Kelch meines Vaters kenne. Um sie lesen zu können, brauche ich jedoch den Schlüssel, der hier versteckt ist.«
»Wie lautet denn der Reim, den Ihr Vater als Hinweis für diesen Ort hinterlassen hat?«
»In seinem zweiten Reim geht es um das, was wir hier suchen. Ich wiederhole ihn gerne nochmals: ›All die Symbole müssen nun weichen, doch nur Licht noch Schatten wird nicht reichen. Einst wurde in einem Kirchlein Wein zu Blut, dort finde das geheime Zeichengut. Am Pilgerpfad wird das Gemäuer stehen, mit der Muschel kannst Du ihn fromm begehen‹.«
»Als Sie Inspektor Rey den Vers in Burgos zitierten, habe ich ihn nicht sonderlich beachtet. Doch das hört sich ziemlich geheimnisvoll an«, meinte Sandino grüblerisch.
»Für mich ist vor allem der Hinweis auf die Zweiheit interessant. Der erste Reim beginnt mit dem Vers: ›Sonne und Mond ist unseres Kelches Natur, gemacht aus Mercurius und Sulfur . ‹ Und im zweiten Reim heißt es: ›Jetzt müssen diese Zeichen weichen, nur Licht noch Schatten wird nicht reichen . ‹ Die Zweiheit ist folglich von Bedeutung, wie Licht und Schatten oder Sonne und Mond.«
»Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als die Kirche nochmals in Augenschein zu nehmen«, sagte Sandino müde und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Wenn wir den Schlüssel gefunden haben, kommen wir ja vielleicht darauf, wo sich die Botschaft befindet.«
Sie schwiegen eine Weile. Sandino rief sich das Gespräch mit dem Dorfpfarrer ins Gedächtnis.
»Was denken Sie über den Geistlichen?«, fragte er Alina, wobei er darum bemüht war, seinen Ärger auf den Pfarrer zu verbergen.
»Aus seinem Benehmen schließe ich, das er meinen Vater gekannt hat. Doch ich kann mir den Grund seiner Angst nicht erklären. Ich hatte das Gefühl, dass er sich für den Tod meines Vaters irgendwie verantwortlich fühlt. Vielleicht ist er in diese Sache verwickelt.«
»Ob da eine Verbindung besteht oder nicht«, fuhr Sandino fort, »wir werden das als Nächstes herausfinden, notfalls auch mit Gewalt!«
»Ach!« sagte Alina nun erstaunt. »Ich hätte nicht gedacht, dass für einen Priester wie Sie Gewalt infrage kommt!«
Sandino wusste, dass sie recht hatte, so etwas durfte er nicht sagen. Trotzdem fuhr er griesgrämig fort: »Es gibt genug biblische Präzedenzfälle, die Vertreibung der Händler aus dem Tempel beispielsweise.«
»Nun, vielleicht können wir auch nur so tun? Wir halten Don Ferrari die Pistole unter die Nase, die ich seit Avignon im Gepäck habe. Natürlich nur , um ihn einzuschüchtern. Das Magazin ist sowieso leer.«
»Gut«, seufzte Sandino nach kurzem Schweigen. »Doch ich begreife sein Verhalten nicht. Don Ferrari und ich gehören doch zum gleichen Verein!«
»Ja, scheint so. Aber mit seinem Verhalten macht er sich in diesem Verein wohl sicher keine Freunde.«
»Wir werden jedenfalls nochmals mit ihm reden müssen«.
»Freiwillig wird er uns nicht mehr empfangen. Er hat uns die Kirchentür vor der Nase zugeschlagen«, gab ihm Alina zur Antwort.
» Trotzdem ! Also, wann wollen wir unser Glück erneut versuchen? Diesmal werden wir anders mit ihm umgehen«, sagte Sandino energisch.
Alina saß eine Weile nachdenklich da und trank ihren Kaffee in kleinen Schlucken. Sandino warf ihr einen verstohlenen Blick zu.
»Gegen Abend«, sagte sie dann seufzend und griff nach einem liegen gelassenen Handbuch über den Jakobsweg, um darin zu blättern.
Sandino konnte den Blick nicht von Alina wenden, die sich mit dem Buch zu zerstreuen suchte. Es war nichts Lüsternes, das Sandino beim Anblick von Alinas Erscheinung fühlte, eher eine Art von Sehnsucht, einer
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