Wächter
von L1 hatte sie an ihren Botschaften gearbeitet und den Fortschritt der zwei großen Ereignisse überwacht, die heute stattfinden sollten: Das Einschalten von Bimini, dem neuen Weltraumaufzug im Atlantik, und der dichtesten Annäherung der Q-Bombe an die Erde. Beides verlief planmäßig, soweit irgendjemand es zu sagen vermochte. Aber sie hatte doch keine Ruhe und musste es ständig kontrollieren.
Das Shuttle rollte aus, und die Triebwerke verstummten mit einem Seufzer.
Sie schloss die Softscreen und faltete sie zusammen. »Danke, Thales. Es ist schön, wieder daheim zu sein. Athene lässt dich grüßen.«
»Ich habe ein paarmal mit ihr gesprochen.«
Das verursachte Bella ein eigentümliches Unbehagen. Sie hatte sich oft schon gefragt, welche Gespräche zwischen den großen KI’s über den Köpfen der Menschheit - oder über sie hinweg - wohl stattfanden. Nicht einmal in ihrer Rolle als Ratsvorsitzende hatte sie diesbezüglich völlige Klarheit erlangt.
»Draußen wartet ein Fahrzeug auf Sie, Bella. Es wird Sie zum VAB bringen, wo Sie von Ihrer Familie erwartet werden. Seien Sie vorsichtig beim Aufstehen.«
Die Rückkehr in die volle Gravitation war immer ein schmerzhafter Vorgang. »Es wird jedes Mal schlimmer. Thales, erinnere mich daran, ein Exoskelett anzufordern.«
»Jawohl, Bella.«
Sie kletterte steifbeinig auf die Landebahn hinunter. Es war ein freundlicher Tag, die Sonne stand tief am Himmel und die Luft war frisch und salzhaltig. Sie überprüfte ihre Uhr, die sich selbst auf Ortszeit umgestellt hatte; sie war kurz vor zehn Uhr morgens an diesem knackfrischen Dezembermorgen gelandet.
Sie schaute aufs Meer hinaus, wo ein dünnes vertikales Band in den Himmel emporstieg. »Noch eine Stunde bis zum Vorbeiflug der Q-Bombe, Bella«, murmelte Thales. »Die Astronomen haben keine Änderung ihrer Bahn gemeldet.«
»Die Orbitalmechanik-Analysen sind alle sehr gut. Die Leute müssen es sehen .«
»Ich bin zuvor schon auf dieses Phänomen gestoßen«, sagte Thales ruhig. »Ich verstehe es wirklich, Bella.«
Sie grunzte. »Da bin ich mir nicht so sicher. Nicht wenn du es selbst als ›Phänomen‹ bezeichnest. Aber wir lieben dich trotzdem alle.«
»Danke, Bella.«
Ein Fahrzeug fuhr vor - eine smarte und freundliche Glaskugel. Sie brachte sie vom sich abkühlenden Koloss des Shuttles zum in der Ferne dräuenden VAB, dem Montagegebäude.
Am VAB wurde sie von einem Sicherheitsbeamten, einer gut gelaunten, aber schwer bewaffneten Frau empfangen, die ihr fortan wie ein Schatten folgte.
Bella ging geradewegs zu einem gläsernen Aufzug und stieg schnell und lautlos im Innern des VAB nach oben. Ihr Blick schweifte über wie helle Bäume zusammenstehende Raketen. Einst waren die Stufen der Saturn-Raketen und die Raumfähren in diesem Gebäude montiert worden. Das VAB war bereits ein Jahrhundert alt und immer noch einer der größten
umbauten Räume der Welt. Es war in ein Museum für die Trägerraketen der heroischen Anfangszeit der bemannten Raumfahrt der Vereinigten Staaten umgewidmet worden - von der Atlas-Trägerrakete bis zum Shuttle und der Ares . Doch nun hatte man das Gebäude wieder in Betrieb genommen. Eine Ecke war für eine Apollo-Saturn-Stufe freigemacht worden: eine neue Apollo 14 , die auf den Start im Februar anlässlich des hundertjährigen Jubiläums wartete.
Bella liebte diesen riesigen Tempel der Technik mit seinen nach wie vor beeindruckenden Dimensionen. Doch heute interessierte sie sich eher dafür, wer auf dem Dach auf sie wartete.
Edna begrüßte sie, als sie aus der Aufzugskabine stieg. »Mama«.
»Hallo, Liebes.« Bella umarmte sie.
Bella und Edna gingen weiter, mit der Sicherheitsbeamtin im Schlepptau. Und ein Nachrichtenroboter rollte hinter ihnen her: eine runde Kugel, die mit glitzernden Linsen übersät war. Bella hätte damit rechnen müssen; sie versuchte die lautlose Totalüberwachung zu ignorieren. Es war schließlich ein historischer Tag. Indem sie das Einschalten von Bimini auf den heutigen Tag gelegt hatte, wollte sie den Q-Tag in einen Feiertag verwandeln, und ein solcher schien er auch zu werden - selbst wenn sie das Gefühl hatte, dass die Stimmung in diesem Moment eher nervös als feierlich war.
Das weitläufige Dach des VAB war zu einer Aussichtsplattform umfunktioniert worden. Und heute war es voll: mit Festzelten, einem Podest, auf dem Bella eine Rede halten sollte, und von umherwuselnden Leuten. Es gab sogar einen kleinen Park, ein Modell der lokalen
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