Wächter
Griechisch.
Bisesa verbrachte möglichst viel Zeit an Deck. Sie hatte einmal Hubschrauber geflogen und war deshalb gegen Seekrankheit gefeit. Das galt auch für Emeline, doch die arme Landratte Abdikadir hing ständig über der Reling und musste sich übergeben.
Emeline ging mehr aus sich heraus, nachdem sie Gibraltar verlassen hatten. Das Schiff war das Eigentum eines Konsortiums von Babyloniern, doch seine Technik war mindestens zur
Hälfte amerikanisch, und Emeline schien froh, den Schmutz der fremden Alten Welt endlich abschütteln zu können. »Wir haben uns auf dem Schiff kennengelernt«, erzählte sie Bisesa. »Wir Chicagoer sind über die Flüsse durch das Mississippi-delta ins Meer hinaus gelangt, während die Griechen in ihren großen Ruderbooten übers Meer kamen und die Ostküste und den Golf erkundet haben. Wir zeigten den Alexandriern, wie man Masten baut, die nicht schon bei der ersten Windbö umknicken, und wie man eine vernünftige Takelage zurüstet, und im Gegenzug fahren wir mit ihren großen Ruderbooten den Mississippi und Illinois auf und ab. Es war eine Verschmelzung von Kulturen, wie Josh zu sagen pflegte.«
»Aber keine Dampfschiffe«, sagte Bisesa.
»Noch nicht. Wir haben zwar ein paar Dampfschiffe auf dem Michigan-See, der sich mit uns durch die Erstarrung gerettet hatte. Aber wir haben keine seetüchtigen Dampfer. Allerdings werden wir Dampfschiffe brauchen, wenn das Eis sich weiter nach Süden ausbreitet.« Sie wies Richtung Norden.
Gemäß der Navigation des Handys - es beanstandete das Fehlen von GPS-Satelliten - befanden sie sich irgendwo südlich von Bermuda südlich des dreißigsten Breitengrads. Doch selbst so weit im Süden wies Emelines Zeigefinger auf einen unverkennbaren weißen Schimmer.
Während der Reise auf dem neutralen Meer versuchte Bisesa ihre Begleiter besser kennenzulernen.
Abdi war klug, jung, offen und erfrischend neugierig. Er war ein einmaliges Exemplar - ein Junge, der durch seinen modern-britischen Vater geprägt worden war wie auch von Griechen, die den Worten Aristoteles’ gelauscht hatten. Aber er war seinem Vater ähnlich genug, dass Bisesa sich bei ihm so sicher fühlte, wie sie sich schon beim ersten Abdi gefühlt hatte.
Emeline war im Vergleich ein schwierigerer Fall. Der Geist von Josh stand noch immer zwischen ihnen; eine Präsenz, über die sie kaum sprachen. Obwohl Emeline sich verpflichtet
gefühlt hatte, den Ozean zu überqueren, um den Telefonanrufen in Babylon auf den Grund zu gehen - was ihr Mann sicherlich auch getan hätte -, gestand sie Bisesa, dass sie ein Unbehagen bei der Sache verspürte.
»Ich war erst neun, als die Welt um Chicago herum eingefroren ist. Fast mein ganzes Leben lang war ich in ›das große Überlebensprojekt‹ eingebunden, wie Bürgermeister Rice es nennt. Wir sind ständig beschäftigt. Das hat verständlicherweise Vorrang vor der Erforschung des großen Mysteriums, weshalb wir überhaupt existieren. Das ist ungefähr so, wie wenn jemand die Konfrontation mit seiner eigenen Sterblichkeit scheut. Aber wo Sie nun einmal hier sind …«
»Ich bin ein Todesengel«, sagte Bisesa düster.
»Das sind Sie gewiss nicht, obwohl Sie uns andererseits auch keine guten Nachrichten gebracht haben. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich froh bin, wenn wir erst in Chicago angekommen sind und mein Leben wieder in normalen Bahnen verläuft!«
Des Nachts bat das Telefon Bisesa, es mit an Deck zu nehmen, um den Himmel zu betrachten. Sie stellte es auf einen kleinen Holzsockel und band es fest, damit es beim Rollen und Stampfen des Schiffes nicht umfiel.
Mir war eine unruhige Welt; das Klima war genauso uneinheitlich wie seine Geologie und hatte sich noch nicht wieder eingependelt. Für Astronomen gab es grundsätzlich nicht viel zu sehen. Doch mitten auf dem Atlantik war der Himmel so wolkenlos und frei von Vulkanasche, wie Bisesa es bisher nirgends gesehen hatte. Sie gestattete dem Handy, nach den Sternen zu spähen und die Beobachtungen zu bestätigen, die es bereits bei der Entstehung von Mir und den anschließenden Beobachtungen der babylonischen Astronomen gemacht hatte. Es sendete Bilder an die alten Funkempfänger der Little Bird in Babylon und hoffte, dass sie von dort über das Auge ins richtige Universum übertragen wurden.
Und auf Anregung des Telefons suchte sie nach dem kühlen nebligen Band der Milchstraße. Sie fragte sich, ob es wohl blasser und verstreuter war, als sie es in Erinnerung hatte.
Durch die
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