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Wächterin der Träume

Wächterin der Träume

Titel: Wächterin der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Smith
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die Miene der Frau.
    Was sie wohl von mir dachten? Schimpften sie insgeheim über mich, oder fürchteten sie sich vor mir, dem Halbblut? Und wer wartete hinter dem Tor auf mich?
    Ich wehrte mich gegen die Angst, die in mir aufstieg und das mulmige Gefühl in meinem Bauch wachsen ließ. Ich hatte nie die Neigung zu Panikattacken gehabt und hoffte, dass sich das nicht ausgerechnet jetzt ändern würde.
    Vor dem Eingang blieb ich kurz stehen, atmete tief durch und straffte die Schultern. Keiner sollte mir anmerken, wie aufgeregt ich war. Abgesehen vom Nebel, der diese Welt umgab, waren mir auch die anderen Wesen hier nicht freundlich gesinnt.
    Nachdem ich durch das Tor getreten war, stand ich im Eingang einer großen Halle mit hellgelbem Steinfußboden, auf dem dicke Perserteppiche lagen. An den Wänden befanden sich Statuen von Männern und Frauen in langen Gewändern. Hoch oben an den fensterlosen Wänden brannten in Wandhaltern weitere Fackeln. Zuckende Schatten tanzten an den Wänden entlang, darunter auch meiner. Spielte meine Phantasie mir einen Streich, oder passten die Umrisse der Schatten nicht zu den dazugehörigen Körpern und Gegenständen? Nein, es war keine Einbildung. Die Schatten führten ein Eigenleben, krümmten und drehten sich zu einer unbekannten Musik. Mein eigener Schatten bewegte sich fließend wie Wasser durch den Raum. Ich folgte ihm.
    Als ich plötzlich etwa ein Dutzend ernst dreinschauender Männer und Frauen erblickte, die am anderen Ende des Raums um eine große, massive Tafel versammelt saßen, machte mein Herz vor Schreck einen Sprung. Sie schienen meine Anwesenheit kaum zu bemerken. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war, wusste ich nicht. War einer von ihnen die Oberste Wächterin?
    Ich beruhigte mich ein wenig, als ich meinen Vater entdeckte. Er saß zusammen mit seinen Brüdern Icelus und Phantasos, den Fürsten der bösen Träume und Hirngespinste, ein wenig abseits. Auch wenn mein Vater mir nicht helfen konnte, war seine Anwesenheit sehr tröstlich. Als sich unsere Blicke trafen, nickte er mir beruhigend zu. In diesem Augenblick bemerkte ich Verek, der mit strenger Amtsmiene auf mich zuschritt.
    »Wirst du mich führen?«, fragte ich, als er in Hörweite war.
    »Ich soll dich ans andere Ende der Halle geleiten«, sagte er ernst.
    »Brauche ich denn eine Eskorte?«
    »Du hast keine Wahl.« Ich glaubte, in seiner geflüsterten Antwort eine Spur von Mitgefühl zu erkennen.
    »Wenn du es so ausdrückst, wie könnte ich da ablehnen?«, erwiderte ich mit falscher Unbekümmertheit. Er reichte mir seinen Arm, und ich ergriff ihn. Es ging alles äußerst zivilisiert zu, dennoch hatte ich den Eindruck, als warteten die Ratsmitglieder insgeheim nur auf den richtigen Augenblick, um zuzuschlagen.
    Blutrünstige Bande.
    Nachdem mich der große, kräftige Nachtmahr Verek durch den Raum zu einem leeren Platz abseits der Tafel geleitet hatte, verschwand er. Einen Augenblick lang glaubte ich, die Mitglieder des Rates wollten mich für immer hier stehen lassen, doch dann erhoben sie sich. Aber nicht etwa meinetwegen, so viel war mir klar. Nur mein Vater und seine Brüder blieben sitzen, als eine prächtig gewandete Gestalt die Halle durch eine Tür in der hinteren Ecke betrat. Was für ein Auftritt!
    Es hatte mir ein wenig Hoffnung gemacht, weil die Oberste Wächterin eine Frau war, doch als ich in das bleiche, verkniffene Gesicht blickte, musste ich an meine Mathelehrerin in der achten Klasse denken und wusste, dass ich in Schwierigkeiten steckte.
    Ihre Augen waren nicht blau, wie es für Nachtmahre wie mich typisch war. Ich bin sicher, dass die Augenfarbe im Traumreich irgendeine tiefere Bedeutung besaß, ich wusste nur nicht, welche. Eigentlich mochte ich meine meerblauen Augen sehr, aber manchmal wurden sie erschreckend hell, und die Iris bekam spinnenbeindünne dunkle Ränder.
    Die Oberste Wächterin hatte kalte grüne Augen. Die dunklen Ränder um ihre Iris waren dick und kräftig, als hätte jemand die Linie mit einem Zaubermarker nachgezogen. Es sah unheimlich aus. Ihr kupferfarbenes Haar fiel wie eine Flamme über ihre violette Robe.
    Sie war furchteinflößend, und das wusste sie auch. Ich reckte den Kopf, als sie an den Tisch trat und mich musterte, und hielt ihrem kalten Blick stand, auch wenn ich die Augen am liebsten abgewandt hätte – doch ich wollte nicht klein beigeben.
    »Du bist also diejenige, die nach Eos benannt ist.« Ihre feurige Stimme war fragend und anklagend

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