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Wächterin der Träume

Wächterin der Träume

Titel: Wächterin der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Smith
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obwohl er sich nicht für seine Verdächtigungen entschuldigt hatte. Wie er nun einmal war, fiel es ihm bestimmt nicht immer leicht, mit jemandem wie mir zusammen zu sein. Wenn ich skrupelloser gewesen wäre, hätte ich tatsächlich in seine Träume eindringen und auf diese Weise alle seine Geheimnisse aufdecken können, ohne dass er es gemerkt hätte.
    Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass er genügend Vertrauen gehabt und mir geglaubt hatte. Doch zugleich fragte ich mich – und zwar nicht zum ersten Mal –, was er in seinen Träumen verbarg und warum er um keinen Preis wollte, dass ich es erfuhr.
     
    Es wäre noch untertrieben gewesen zu behaupten, ich hätte große Lust gehabt, in Noahs Träumen herumzutanzen, um zu sehen, was das ganze Theater sollte. In dieser Nacht blieb ich lange wach, sah ihm beim Schlafen zu und kämpfte gegen die Versuchung, sein Vertrauen zu missbrauchen.
    Wenn Noah mir seine Träume nicht offenbaren wollte, würde ich mich bestimmt nicht aufdrängen. Außerdem hatte ich noch etwas zu erledigen.
    Ursprünglich hatte ich geglaubt, Morpheus hätte Antwoine die Fähigkeit zu träumen genommen, aber damit hätte er ihn praktisch getötet. Stattdessen hatte mein Vater Antwoine in einen kleinen Teil des Traumreichs verbannt, ungefähr wie ich es mit mir selbst nach meiner Misshandlung von Jackey Jenkins getan hatte.
    Antwoine konnte also noch träumen, und auf diese Weise würde ich ihn finden. Dazu brauchte ich nur seinen Spuren zu folgen. Aber zuerst musste ich Madrene abholen.
    Diesmal betrat ich das Haus nicht, sondern wartete im Garten dahinter. Obwohl es dunkel war, konnte ich jede einzelne bunte Blüte in dem von Mauern umgebenen Bereich erkennen. Es duftete stark nach Jasmin und Zimt, und ich atmete tief ein, während ich auf einer niedrigen Steinbank saß und nach Madrene Ausschau hielt. Hinter beinahe jedem Fenster schimmerte sanftes Licht, wie von einer Kerze oder Öllampe. In manche der Zimmer konnte ich hineinsehen, doch andere lagen hinter duftigen Gardinen verborgen. Das war auch gut so. Ich wollte ja nicht den Voyeur spielen.
    Ich brauchte nicht lange zu warten, bis ich eine Tür knarren hörte. Gleich darauf öffnete sich das Gartentor, und Madrene kam herangeschwebt. Ihr Schritt war so leicht, dass sie kaum den Boden zu berühren schien.
    Neidisch beäugte ich ihr Seidenkleid, das am unteren Rand mit einem Wirbel von handgemalten Schmetterlingen verziert war. Selbst wenn ich mir so etwas Herrliches hätte leisten können, wäre es wohl kaum das Richtige für mich gewesen. »Du siehst phantastisch aus«, sagte ich, ohne zu überlegen. »Und dein Kleid ist einfach fabelhaft.«
    »Danke«, lächelte sie. »Deins gefällt mir auch.«
    Verwirrt blickte ich an mir hinunter. Ich hatte Jeans und T-Shirt angehabt, doch jetzt trug ich auf einmal ein ähnliches Kleid wie sie, nur in Violett und mit Blumen bemalt. »Was zum …?«
    Die dunkelhaarige Frau kam lachend auf mich zu. »Ein Sukkubus, der Wünsche nicht erkennt, ist unfähig.«
    »Ich dachte, du wärst für sexuelle Wünsche zuständig.« Ich überragte sie um einiges, doch sie besaß eine solche Ausstrahlung, dass ich mir neben ihr klein vorkam. Interessant.
    Sie zuckte mit einer mokkafarbenen Schulter. Ihre Haut wirkte so glatt und geschmeidig wie ihr Kleid. »Darum geht es meistens, aber um meine Arbeit gut zu erledigen, habe ich mich mit Wünschen aller Art befasst.«
    Ich unterdrückte ein Schaudern, da ich unwillkürlich an all die verrückten Dinge denken musste, die sie gesehen und getan haben mochte. »So etwas wie du könnte ich nie tun.« Das war mein Ernst und nicht abfällig gemeint. Ich bewunderte jeden, der sich innerlich zu distanzieren vermochte, und wünschte, es ebenfalls zu können.
    Sie blickte erstaunt drein. »Du weißt nicht viel über Wesen wie mich, oder?«
    »Nein, tut mir leid.« Warum hatte ich nur das Gefühl, ich würde jetzt mehr erfahren, als ich eigentlich wissen wollte?
    Die beerenroten Lippen verzogen sich zu einem durchtriebenen Lächeln. »Es gibt nicht viel, was uns ›unangenehm‹ ist, wie du es nennen würdest. Wir ernähren uns von Begierden oder leben davon, wenn dir der Ausdruck lieber ist.«
    Ich starrte sie an und blinzelte langsam. »Wenn dich also ein Träumender ins Gesicht schlägt, dann tut dir das nicht weh, weil sein Drang dazu stärker ist als deine Gefühle?«
    »Oder ihr Drang«, fügte sie mit einem kessen Grinsen hinzu. »Wir bedienen auch Frauen.«
    Natürlich.

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