Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
Vom Netzwerk:
Seite schwenken konnten, um nicht für Araber gehalten und erschossen zu werden, war während der gefährlichen Reise unter Babas Kleidung versteckt. Sie fuhren durch die dunkle Nacht, in der entschlossene Männer patrouillierten, voller Zorn auf die Juden, die ihrerseits in der Uniform ihrer plötzlich entstandenen Nation patrouillierten, mit der gleichen Entschlossenheit und Wut.
    »Meine Eltern hatten eine solche Angst, dass sie sich nicht bewegten, nicht einmal die Augen öffneten, aber ich beobachtete alles aufmerksam durch einen Spalt an der Seite des Wagens. Als ein jordanischer Soldat Ihrem Vater ein Zeichen gab und ihm etwas zurief, dachte ich einen kurzen Augenblick, dass Hasan uns verraten hatte. Meine Angst verwandelte sich in Misstrauen, als ich in diesem Wagen saß, der mich ein wenig an meine Kindheit erinnerte. Eine Idee schoss mir durch den Kopf: Handeln, bevor andere es tun! Ich wollte nach dem Dolch greifen, den Hasan unter einer Decke versteckt hatte – ›nur für den Fall, dass wir ihn brauchen‹, hatte er gesagt.«

    Ari hielt inne. Er nahm diese schmerzende Erinnerung in sich auf, bevor er sie in Worten wieder ausstieß. Mit zitternden Händen holte David die Trinkflasche hervor, die er immer bei sich trug.
    »Doch bevor ich aussteigen konnte, fuhren wir schon weiter. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.«
    Ari blickte mir direkt ins Gesicht, wegen seiner dicken Gläser mit seltsam vergrößerten Augen, und fuhr fort: »Während der restlichen Fahrt zitterte ich am ganzen Leib. Ich hatte mich geirrt, im Geiste meinen Freund verraten, der sein Leben aufs Spiel setzte, um meins zu retten.
    Ich kann mich nicht mehr an die folgenden Stunden oder vielleicht auch bloß Minuten erinnern. Hasan hielt bald an und zeigte uns einen versteckten Weg, der auf die andere Seite führte. Er übergab mir die Flagge, die er sorgfältig mit dem jüdischen Stern bemalt hatte, dem gleichen blauen Stern, der über seinem sterbenden Land flatterte.
    Er schloss mich in die Arme. ›Hoffentlich sehen wir uns wieder, mein Bruder‹, waren seine letzten Worte an mich. ›Vergib mir‹, antwortete ich, ehe ich mit meinen Eltern davonschlich. «
    Ari hielt inne, als ob er sagen wollte: Es gibt nichts mehr hinzuzufügen. In der unendlichen Leere dieser Stille fühlte ich mich plötzlich wieder wie ein Kind in Babas Armen, das ihn nach Ari Perlstein ausfragte. Ich sah, wie Baba traurig sein Buch zuklappte und damit auch diesen besonderen Morgen. Nein, die Geschichte hörte da nicht auf.
    »Nachdem er sein Zuhause verloren hatte, sein Land, seinen Sohn und seine Identität an den jüdischen Staat, riskierte Ihr Vater sein Leben, um meins und das meiner Familie zu retten.«
    Es gab nichts mehr hinzuzufügen.

    Aus dem Augenwinkel konnte ich Erleichterung in Jakobs Miene ausmachen. Seine Anerkennung für seine arabischen Verwandten machte sich an ihren Taten den Juden gegenüber fest. Der Junge irritierte mich, auch wenn Sara offensichtlich großen Gefallen an ihm fand.
    Ich war müde, als wir uns von Ari verabschiedeten. Dieser Geschichte müde. Der Vergangenheit müde.
    Auf der Fahrt nach Netanya bat ich David, eine andere Route zu nehmen. »Es ist ein klitzekleiner Umweg«, sagte ich mit irischem Akzent und machte dabei Jack O’Malley nach, der haargenau dieselben Worte gebraucht hatte, als er mich vor langer Zeit zum Waisenhaus gefahren hatte. Niemand verstand, warum ich in diesem Akzent sprach, und ich wollte nichts erklären. Später werde ich Sara alles über O’Malley erzählen, über das Waisenhaus, die kolumbianischen Schwestern und Haydar, die Direktorin. Huda und ich werden ihr vom Warda-Haus hinter dem dritten Ölbaum nach den Zwillingszedern erzählen, und wir werden zusammen mit unseren Kindern eine Nacht auf dem Dach verbringen, so wie damals, als wir klein waren. Mir war ganz schwindelig, aber gleichzeitig fühlte ich mich zuversichtlich. Das Land schien mich mit offenen Armen zu empfangen.
    Obwohl ich völlig durcheinander war, fühlte ich, dass es richtig war, hierher zurückzukehren. Ich spürte die Bedeutung, die meinem Vornamen wieder innewohnte. Mein Name war ausgequetscht worden wie eine Zitrone und hatte zuletzt nur noch aus stummen Buchstaben bestanden. Hier war ich wieder Amal und nicht Amy. »Ich mag es, wenn die Leute dich Amal nennen, Mom«, sagte Sara am Tag darauf in Jenin zu mir.
    Am Ziel unseres »klitzekleinen Umwegs« stand ich an der Stelle, an der sich die biblische Mauer wie

Weitere Kostenlose Bücher