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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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Arafats Hauptquartier unter Beschuss. Und während Jassir Arafat sich in den Trümmern seines ehemaligen Hauptquartiers verkroch und in das Kanonenrohr eines israelischen Panzers schaute, erklärte Präsident George W. Bush, Arafat solle »den Terror stoppen«.
    Als sie später in Davids Haus waren, bat Sara ihren Onkel, den Ton des Fernsehers abzustellen, um nicht länger »diesem Riesenego mit nur einer einzigen Gehirnzelle« zuhören zu müssen, wie sie sich ausdrückte. »Man sollte doch annehmen, dass ein amerikanischer Präsident versteht, dass man ein intaktes Hauptquartier und außerdem Polizeieinheiten braucht, um ›den Terror zu stoppen‹, aber nein. Nicht unser Dubya. Er nimmt das Wort Terror so oft in den Mund, dass ich mich langsam frage, ob das krankhaft ist. Eine Art unheilbarer, verbaler
Tic. Terrorterrorterrorterrorterror!«, stieß sie hervor, total frustriert und mit den Nerven am Ende.
    Ach, meine Tochter!

    Am Tag darauf setzten wir unseren Fuß in das erheblich gewachsene Jenin. In das übervolle Jenin. In das rastlose, entschlossene, wütende Jenin. Nicht in das passive, geduldige, alles-in-die-Hände-Allahs-legende Jenin meiner Jugend. Meine Tochter und ich fassten uns an der Hand, während wir die gewundenen Gassen entlanggingen und die Sonne sich in den Abwasserrinnen spiegelte. Musik schwappte aus den Häusern auf die Straße zu uns heraus, und ich erkannte ein Lied der Sängerin Fairuz, deren Stimme sich wie die Freiheit in den Himmel erhob.
    Für dich, Stadt des Gebetes, bete ich.
Ya bahiyat al masakin. Du Rose unter allen Städten.
Unsere Augen reisen zu dir jeden Tag …
um den Schmerz eurer Kirchen zu lindern und die Traurigkeit aus
euren Moscheen zu vertreiben.
    Ich hielt an, streckte die Arme zu beiden Seiten der Gasse aus und fuhr mit meinen Handflächen an den Häuserwänden entlang. »So spazierten Huda und ich immer durch diese Gänge«, erklärte ich meiner Tochter.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr es mich bewegt, an dem Ort zu sein, wo du aufgewachsen bist. Ich kann es kaum erwarten, Huda kennenzulernen und Geschichten von euch beiden zu hören.« Sara war sichtlich aufgeregt.
    Noch ein Lied. Eines, das mein Herz berührte, erst durch das Wehklagen der Nai, dann durch seine Worte:

    Unadeekum. Ich bitte dich um Hilfe, ich ziehe dich an der Hand
und ich küsse die Erde unter deinen Füßen.
Ich gebe dir das Licht meiner Augen …
Ich habe alles für mein Land gegeben …
Und ich übernehme meinen Anteil deines Kummers.
Und ich lachte meinen Unterdrückern ins Gesicht, ich armes
Waisenkind, nackt, ohne Schuhe.
Unadeekum. Ich bitte dich um Hilfe, ich halte mein Blut in meiner
Hand fest …
    Vor uns kicherten ein paar Kinder, als sie zwei erwachsene Frauen sahen, die im Vorbeigehen die Mauern mit den Händen streiften. Schnatternde Hühner stieben davon und schlugen vergeblich mit den Flügeln, um der sie jagenden Kinderschar zu entkommen. Manche Dinge hatten sich nicht verändert.
    Die Alten waren gestorben, die Jungen gealtert, die Häuser waren höher und die Gassen enger geworden, Babys waren geboren worden, die Kinder waren zur Schule gegangen und hatten Hühnern hinterhergejagt, und die Olivenbäume hatten sich unter der Last ihrer Früchte gekrümmt. Und doch blieb das Flüchtlingslager Jenin, was es immer gewesen war, ein kleines Fleckchen Erde, von der Zeit vergessen und gefangen im ewigen Jahr 1948.
    Eine Stimme aus der Vergangenheit schlich sich aus dem Hintergrund an mich heran. »Du bist in Jenin.« Mein Herz zersprang fast vor lauter Liebe. Vor lauter Leben. »Musst du immer auf Offensichtliches hinweisen?«, bemerkte ich, drehte mich um und schaute in Hudas Tigeraugen. Wir sanken uns in die Arme und lachten durch die Tränen hindurch.
    »Du hast zugenommen«, sagte sie.
    »Du auch«, erwiderte ich.

    »Musst du immer auf Offensichtliches hinweisen?«, imitierte sie mich.
    Sie zog Sara zu uns heran, um sie in unsere Umarmung einzuschließen. Fröhlich machten wir drei uns dann auf den Weg zu ihrem Zuhause.
    »Nur Mansur, mein Jüngster, und ich wohnen im Augenblick hier«, erklärte sie schnaufend, während wir den Weg zu ihrer kleinen Hütte hochtrotteten, nicht weit entfernt von der Wohnung, in der ich meine Jugend verbracht hatte. »Die Juden haben Osama letzten Monat mitgenommen. Jamil, einer meiner Zwillinge, kommt oft, um nach uns zu sehen, aber die meiste Zeit wissen wir nicht, wo er ist.« Sie hielt inne, holte wieder Luft und fuhr fort. »Er

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