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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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sich schnitten oder aufschürften, gingen zu ihr, um sich verarzten und bemuttern zu lassen. Aber in jedem
Karton waren auch Süßigkeiten und Schokolade, die Layla mit ihren Schwestern, Muna und mir teilte.
    Um unseren Hunger während des Ramadan zu lindern, kam Schwester Claire jeden Abend zur Ostmauer des Waisenhauses und reichte Layla eine warme Schüssel durch ein kleines Loch in den Steinen. Ihre Mildtätigkeit war ein köstliches Geheimnis, das wir fünf Freundinnen sicher hüteten. In Pawlow’scher Manier kamen wir immer schon eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit, fünf Uhr, an die Mauer. Es war Februar, und der kalte Wind pfiff uns durch die Kleider, als unser kleiner Spähtrupp am Treffpunkt wartete und wir uns gegenseitig knufften, um einen Blick durch das Loch zu erhaschen.
    »Sie kommt!«, flüsterte ich, als ich das helle Gesicht mit den roten Wangen, das vom braunen Nonnenschleier eingerahmt wurde, entdeckte. Schwester Claire, die perfekt in die fromme Klostergemeinschaft passte, wirkte immer, als wäre sie auf der Suche nach Gott.
    Drina schubste mich zur Seite. »Ich hoffe, es gibt wieder gefüllte Weinblätter und Zucchini, wie gestern«, sagte sie und linste durch das Loch.
    »Alles ist besser als der Fraß von Umm Ahmad«, mischte sich Yasmina ein.
    Wir traten zur Seite, damit Layla die ersehnte Schüssel mit Essen entgegennehmen konnte, die sie gleich an uns weiterreichte. Dann redete sie mit ihrer christlichen Freundin.
    »Ich hab sie!«, rief ich und versteckte die Schüssel in meiner Decke.
    »Hmmm, riecht das gut!«, freute sich Drina und steckte die Nase in meine Decke.
    Dann verschafften wir uns Zugang zum Kunstraum, um unser Mahl zu verzehren, wie jeden Abend des vergangenen
Monats. Yasmina, die jüngste der kolumbianischen Schwestern, war praktisch veranlagt und diejenige von uns mit dem meisten Organisationstalent. Sie teilte das Essen in fünf gleich große Portionen, während wir auf den Adhan warteten, der uns erlaubte, das Fasten zu brechen. Muna schloss sich aus Solidarität unserem Fasten an, obwohl sie Christin war. Wir hatten keine Teller, also benutzten wir Farbpaletten aus dem Schrank mit den Kunstutensilien und setzten uns im Kreis auf den Boden, die Augen fest auf Schwester Claires wunderbares Geschenk geheftet, die Ohren gespitzt, um den ersten Tönen des Adhan zu lauschen.
    »Alllaaaaahu akbar … Alllaaaahu akbar …« Die Töne kamen durch die Luft geflogen, und wir brachen das Fasten »im Namen Allahs des Barmherzigen, des Gnädigen«. In nur wenigen Minuten verschlangen wir das Essen. Am Schluss starrten wir alle die Schüssel an, denn jede war scharf auf die letzten paar Tropfen Sauce. Wieder war Yasmina gefragt, in ihrer inoffiziellen Rolle als Vermittlerin. »Wir machen es so«, entschied sie und stand auf. Ihr schwarzer Pferdeschwanz war so fest gebunden, dass ihre Augen leicht verzerrt aussahen und ihre Locken hinter dem Kopf förmlich zu explodieren schienen.
    »Wir machen ein Spiel, und die Gewinnerin darf die Schüssel ausschlecken«, verkündete Yasmina. Als sie ihren Blick durch den Raum schweifen ließ, entdeckte sie eine Kinderzeichnung, die Ballons darstellen sollte. »Wir spielen das Ballonspiel«, sagte sie, während sie auf und ab ging. Die Regeln erfand sie spontan. »Ihr müsst auf einem Bein geradeaus hüpfen und dabei das Wort ›Balloooon‹ so lange wie möglich sagen, ohne neu Luft zu holen. Diejenige, die am weitesten hüpft, hat gewonnen.«
    Ich weiß nicht mehr, wer gewonnen hat, ich war’s jedenfalls
nicht. Aber ich erinnere mich genau an Drinas schalkhaften Blick, kurz bevor sie Yasmina mit Farbe bespritzte – die aus dem Spiel ausscheiden musste, als sie von Drinas wildem Lachen überrascht wurde. Ich kam Yasmina zu Hilfe, mit Farbtuben, deren blauen Inhalt wir auf Drina entleerten. Layla wiederum kleckerte wahllos mit Farbe herum, gut geschützt hinter ihrer Schwester. Muna, die neutral blieb, schleuderte Pappmascheekugeln auf alle, die ihr in die Schussbahn kamen. Die Bilder dieses Abends, die ich in meiner Erinnerung habe, sind mit Farbflecken bespritzt und mit Lachen durchsetzt – noch tagelang danach war ich heiser. Wir blieben lange auf, um die Reste unserer Farbschlacht zu beseitigen. Viele Jahre später, als ich das Waisenhaus besuchte, entdeckte ich ein paar junge Mädchen, die auf dem Hof vor dem Kunstraum das Ballonspiel spielten.
    Miss Haydar erwischte mich am nächsten Morgen, als ich zum Tatort zurückkehrte, um

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