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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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besonders kalter
Abend, und ich hatte außerdem noch Fieber. Sie befahl einem Mädchen namens Sonya, das am besten Rohr von allen stand, ihren Platz für mich zu räumen. Dankbar nahm ich ihre Position ein und zitterte an meinem warmen Plätzchen, bis wir in den Speisesaal durften und unsere Scheibe Brot, ein Stückchen Mortadella und beliebig viel Tee bekamen.
    Natürlich päppelte Layla mich wieder auf, mit Kräutermischungen und kalten Umschlägen. Keine von uns wunderte sich großartig oder war auch nur enttäuscht, als Layla eines Abends verkündete, dass sie zum Christentum konvertieren würde, um nach dem Schulabschluss zu Schwester Claire ins Kloster zu ziehen. Drina hielt das zunächst für eine Phase, aber Layla trat später tatsächlich in den Orden der Karmeliterinnen ein und widmete ihr Leben Gott – und den Mädchen, die weiterhin im Dar al Tifl al Arabi wohnten, dort, wo wir hinter Steinmauern und unter der strengen Hand Miss Haydars zu jungen Frauen herangewachsen waren.
    Wäre Layla nicht gewesen, hätte ich irgendwann mit einer Glatze leben müssen, denn ich hatte ständig Kopfläuse. Am ersten Tag jedes Monats war immer Lauskontrolle. Ein paar Tage vorher pflückten wir uns gegenseitig die Läuse aus den Haaren, denn wir hatten alle Angst vor dem Rasierer. Wir stellten uns hintereinander auf, suchten die Läuse und ließen die Biester in benzingefüllten Dosen verrecken. Layla kümmerte sich um meine Haare. Und dank Yasminas »weißem Kamm«, einer weiteren ihrer ausgeklügelten Erfindungen, der Hunderte von Läusen mit nur einem einzigen Strich erwischte, kamen meine langen schwarzen Haare jedes Mal um den gefürchteten Rasierer herum.
    Weniger Glück hatte ein hübsches junges Mädchen namens Souad, das kurz vor dem Schulabschluss stand und heiraten wollte. Ihr schönes kastanienbraunes Haar war hüftlang, als
Miss Haydar behauptete, sie hätte Läuse darin gefunden. Niemand konnte helfen, als Souads Schreie durch die Flure gellten und ihre Locken zu Boden fielen. Drina war überzeugt, Miss Haydar sei neidisch auf Souad und habe die Sache mit den Läusen nur erfunden. »Sie wusste, dass Souad heiraten wollte«, erklärte sie, »und die alte Hexe konnte das nicht ertragen. « Wir alle waren ihrer Meinung.
    Neben dem »weißen Kamm« hatte Yasmina noch eine andere tolle Erfindung gemacht: die Z-Sprache. Das war eine Geheimsprache, bei der man ein »Z« zwischen die Konsonanten einschob. Zur großen Verärgerung von Miss Haydar beherrschten wir diese Sprache bald fließend und benutzten sie, um uns über ihre Korpulenz und ihre dicke Clownsnase lustig zu machen.
    Die Freundschaften, die ich im Waisenhaus geschlossen habe, sind mir das Kostbarste, wenn ich an meine Jugend zurückdenke. Natürlich konnte ich mit keiner anderen eine solche Vertrautheit erlangen wie mit Huda. Wir beide waren für immer aneinander gebunden, durch die Erlebnisse in unserer Kindheit, durch die sechs Tage des Schreckens im Küchenbunker und durch eine schwesterliche Zusammengehörigkeit, die ich in meinem ganzen Leben mit niemand anderem gespürt habe. Aber das Schicksal trennte uns und schickte uns auf verschiedene Lebenswege.
    Ein einziges Mal konnte Huda mich während meiner vier Jahre im Waisenhaus besuchen. Der Weg nach Jerusalem war beschwerlich, aber im Februar 1973 reiste sie mit Osama an, im Gepäck die frohe Botschaft, dass sie ihr erstes Kind erwarteten. Ihre Zweisamkeit zeichnete sich durch einen stillen Glanz aus, den ich damals nicht richtig verstand. Das Leben, das in Huda heranwuchs, umgab das Paar mit einem Leuchten, von dem Hoffnung und Verheißung auszugehen schienen.

    Am Anfang erkannte ich meine beste Freundin nicht in der schönen Frau wieder, die so erwachsen und so viel weiblicher wirkte als ich selbst. Sie sah verführerisch und exotisch aus, mit Augen, die halb menschlich, halb raubkatzenhaft waren. Ihr Gesicht zog einen einfach in seinen Bann. Selbst Jahrzehnte später, als die Zeit Falten auf ihrer Stirn hinterlassen und das Leben sie gezeichnet hatte, faszinierte einen ihr Gesicht noch immer. Man suchte unweigerlich nach dem Geheimnis hinter den gelblichen Funken in ihren Augen. Huda selbst kannte das Ausmaß ihrer Schönheit nicht, und das erhöhte sie noch. Aber ihr standhaftes, zärtliches Wesen stellte ihre Schönheit noch in den Schatten.
    »Ich habe dich so vermisst«, schluchzte sie mit Tränen in den Augen. Dieser Moment war sicherlich das erste Mal, dass ich die Kälte meines eigenen

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