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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Sheehan
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Guillorys großspurigem Auftritt zunichtegemacht worden.
    »So, da wären wir«, sagte er ungerührt. »Möchtest du, dass ich mit deinem Lehrer spreche und dir einen Platz suche?«
    »Nein, ist schon gut ...«, wollte ich sagen, aber Mr. Guillory marschierte bereits auf den Lehrer zu, und seine goldfarbene Haut glänzte geradezu vor Tüchtigkeit.

    »Dies ist Rosalinda Fitzroy. Ich gehe davon aus, dass Sie instruiert wurden, wie sie zu behandeln ist?«, sagte er viel zu laut.
    Ich wurde knallrot und versuchte, mich hinter meinem Haarvorhang zu verbergen. Wäre ich doch nur nicht so blond und hellhäutig und würde beim geringsten Anlass rot wie die Rose, nach der ich benannt war. Meine Haut war praktisch durchscheinend. Daddy hatte mich immer seine »kleine Rose« genannt. Die Schüler, die bereits saßen, glotzten mich an, manche staunend, manche schamlos neugierig, ein paar richtig hasserfüllt. Ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst.
    Mr. Guillory ging endlich (er nahm die Kopie meines Stundenplans mit), und ich bemühte mich, dem Unterricht zu folgen. Hätte man mich nach meiner Meinung gefragt, hätte ich darum gebeten, mich in sämtliche Förderkurse für die erste Highschool-Klasse zu stecken und mit einem Dutzend Nachhilfelehrern zu versorgen. Doch das hätte zu viel Aufwand bedeutet. Falls Dr. Bija mit dem psychologischen Betreuer gesprochen hatte, wie sie es angedeutet hatte, waren ihre Empfehlungen jedenfalls komplett ignoriert worden. Nach einer Weile gab ich es auf und fing an, eine Landschaft auf meinem Notescreen zu skizzieren. Sie stammte aus einem meiner Stase-Träume, überall knorrige Bäume und verschwimmende Horizonte. Aber der Notescreen war einfach kein Skizzenblock. Ich konnte zwar Farbpaletten mit tausendundeiner Schattierung abrufen, richtiges künstlerisches Arbeiten war das trotzdem nicht für mich.
    Als es zum Ende der Stunde läutete, notierte ich brav die Hausaufgaben, obwohl ich schon wusste, dass ich nicht sehr weit damit kommen würde.
    In Englisch nahmen sie gerade Autoren der Jahrhundertwende durch, von denen Mr. Guillory dachte, sie seien ein alter Hut für mich. Ich brachte es nicht übers Herz, der Lehrerin
zu sagen, dass ich von der Hälfte noch nicht einmal etwas gehört und keinen einzigen der Texte auf der Literaturliste gelesen hatte. Die Schriftsteller, die sie heute für Klassiker hielten, mussten damals, als ihre Sachen erschienen, vollkommen unbedeutend gewesen sein.
    Und was das Chinesische betraf, so waren das alles böhmische Dörfer für mich.
    Direkt vor der Mittagspause hatte ich noch Sport und musste zu meinem Entsetzen feststellen, dass zur Zeit Langstreckenlauf dran war. Ich lief etwa zwanzig Meter, bevor der Trainer mich aus der Bahn rief. Ich keuchte und zitterte und hätte mich übergeben, wenn ich nicht so wenig gegessen hätte, dass ich nur nutzlos würgte. Die Stasis-Erschöpfung machte meinem Bewegungsapparat immer noch zu schaffen. Der Trainer sagte, er werde versuchen, mir den Kurs unbenotet anrechnen zu lassen. »Das ist ... nicht ... nötig«, japste ich.
    »Doch, ist es«, erwiderte er. »Anweisung von Mr. Guillory. Ich muss dafür sorgen, dass du dich wohlfühlst.«
    Betroffen fand ich heraus, dass Mr. Guillory, nachdem er mich in Sozialpsychologie abgeliefert hatte, alle meine Lehrer abgeklappert und den Unterricht unterbrochen hatte, um sie über die mir zustehende Sonderbehandlung zu informieren. Falls die meisten meiner Mitschüler nicht sowieso schon gegen mich eingenommen waren, dann jetzt bestimmt. Ich würde Dr. Bija fragen, ob sie es arrangieren konnte, dass meine Physiotherapiesitzungen als Leistungsnachweis im Fach Sport angerechnet wurden. Oder ich könnte ein paar von den Übungen machen, die man für mich zusammengestellt hatte, während die anderen ihre Runden drehten oder Körbe warfen.
    Als ich endlich erlöst wurde, floh ich in die Cafeteria in der Hoffnung, Bren dort zu treffen. Doch das große Gedränge
schreckte mich ab. Einen bestimmten gut aussehenden Jungen in einer Schule von zweitausend wohlhabenden Mitgliedern der gesellschaftlichen Elite zu finden, war so gut wie unmöglich. Ich stellte mich in die Schlange und ließ mir bewusst das Standardessen geben.
    Die meiste Zeit hatte sich die Schülerschaft vor mir geteilt wie das Rote Meer vor Moses, die Gesichter zu beiden Seiten voll aufdringlicher Neugier oder unverhohlener Feindseligkeit, und ich hatte mich daran gewöhnt, das Kuriosum zu sein, das alle

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