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Während ich schlief

Während ich schlief

Titel: Während ich schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Sheehan
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»Mir?«
    Bren sah verärgert aus. »Das war eins von Guillorys Lieblingsprojekten. Die Gentechnik wurde nach der Dunklen Epoche größtenteils verboten, aber Guillory hat sich von jeher für eine Aufweichung der Beschränkungen stark gemacht. Otto hier war einer von hundert menschlichen Embryos, denen die Mikroben-DNS von Europa eingesetzt wurde. Nur vierunddreißig von ihnen konnten voll ausreifen. Nur ein Dutzend überlebten die Pubertät, und von denen scheinen nur vier die Intelligenz eines normalen Erwachsenen ausgebildet zu haben. Es war das reinste Gemetzel. Otto ist der größte Erfolg des Experiments, aber er spricht nicht.«
    »Warum nicht?«
    Otto öffnete den Mund, und ein Grinsen spielte um seine Lippen. Dann kam ein seltsamer Laut aus ihm heraus, als
würde jemand schreien, indem er die Luft einsaugt, statt sie auszustoßen. Es klang sehr leise und eher nach Delphin als nach Mensch.
    Ich zuckte zusammen, worauf alle am Tisch lachten. »Er treibt gern seinen Spaß mit den Leuten«, sagte Nabiki und boxte ihn leicht. »Komm, Otto, sei nett. Sie ist im Grunde genauso ein seltsamer Vogel wie du.« Otto schien nachzudenken, eine ganze Weile, dann streckte er mir seine langfingrige, bläuliche Hand hin. Ich starrte darauf. Nabiki reagierte ungehalten. »Los, nimm sie«, zischte sie.
    Ich gab ihm vorsichtig die Hand, und Otto drückte sie sehr sanft.
    »Guten Tag, Prinzessin«, dachte ich mit einer mir fremden Stimme. »Ich bin Otto Sextus.« Ich sah sofort die Zahl 86 vor mir und wusste ohne Erklärung, dass er und die anderen nummeriert statt getauft worden waren. Ein weiterer Gedanke stellte sich ein, nicht ganz so deutlich. Er war geradezu, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, unhörbar. Sei gut zu uns, sei gut zu uns, sei gut zu uns. Eine flehentliche Bitte, unabsichtlich geäußert, ein Hintergrundgeräusch von einem Gedanken. Für eine kurze Sekunde sah ich Otto und drei andere blauhäutige Jugendliche, hinter denen sich schattenhaft ein Grüppchen halb ausgeformter Gestalten abzeichnete.
    Ich schnappte nach Luft. Diese Worte und Bilder waren in meinem Kopf, aber sie stammten nicht von mir.
    »Schsch«, war, was ich dachte, doch das damit verbundene Gefühl besagte: Keine Sorge, du musst mich nicht fürchten.
    Meine Gedanken schienen abzuschweifen, bis ich nicht mehr verstand, was ich da dachte. »Du bist verstört. Deine Erfahrungen ... bruchstückhaft ... «
    Eine erste echte Regung zuckte über Ottos eigentümliches Gesicht. Ich spürte einen Anprall unerklärlicher Furcht. »Es
tut mir leid, liebe Prinzessin«, dachte er zu mir. »Dein Kummer ist größer noch als meiner.«
    Er zog seine Hand abrupt zurück und fixierte mich einen Moment lang, bevor er den Blick auf sein Tablett senkte.
    Alle starrten mich an wie eine Außerirdische. Was schon ironisch war unter den Umständen. Nabikis Augen sprühten Funken. »Was hast du zu ihm gesagt?«, verlangte sie zu wissen.
    Ich zitterte noch nach dem Erlebnis und begriff nicht, was da gerade passiert war. »Nichts, ich habe nichts gesagt.«
    Nabiki runzelte die Stirn und legte sanft eine Hand in Ottos Nacken. Er seufzte, und der verstörte Ausdruck verschwand nach und nach aus seinen Augen. Nabiki machte immer noch ein ernstes Gesicht, aber nun lag Bedauern darin. »Sorry«, sagte sie, »ich dachte, du wärst gemein zu ihm gewesen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Würde ich nie«, sagte ich aufrichtig. Seine Geschichte stieß mich ab, nicht er.
    Mühsam suchte ich nach den richtigen Worten. »Wenn es stimmt, was du sagst, und ich dich und deine Familie irgendwie geerbt haben sollte ...« Ich stockte. Der Gedanke war zu schrecklich, das war wie Leibeigenschaft, Sklaverei. »Dann schwöre ich dir, dass ich in dem Moment, in dem ich mein Erbe antrete, dich ... ich weiß nicht ... dich dir selbst zurückgeben werde, oder was auch immer. Dir die Rechte übertragen. Ich weiß noch nicht, wie das juristisch geht. Aber es tut mir furchtbar leid.«
    Nabiki lächelte. »Er sagt danke. Es ist nicht deine Schuld.« Sie wartete kurz, guckte wieder ernst. »Es tut ihm leid wegen eben. Und, äh, du sollst es ihm nicht übelnehmen, aber er hat nicht vor, dich noch einmal anzufassen.« Verwirrt wandte sie sich wieder an Otto: »Wirklich?« Otto hob leicht die Hand, entweder beschwichtigend oder als Aufforderung, fortzufahren.

    Nabiki warf den Kopf zurück. »Okay. Er sagt, da sind zu viele ... Lücken in deinem Bewusstsein. Zu viel leerer Raum. Er hat sich

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