Während ich schlief
ein freundliches Gesicht brauchen.
Bren fing mich im Gang ab, als ich unentschuldigt vor dem Grauen floh, von dem ich in dieser zweiten Stunde erfahren hatte. Es war gestern schon bedrückend genug gewesen, von den Vorstufen zur Dunklen Epoche zu hören. Doch heute, als diese Zeit selbst immer düsterer und drohender auf dem Wandbildschirm heraufzog, wurde ich immer kleiner und kläglicher, bis ich dort rausmusste. Ich rannte an Bren vorbei, ohne ihn zu sehen – ohne irgendetwas zu sehen.
»Rose!« Seine Stimme hallte in dem leeren Gang wider. »Ist alles in Ordnung?«
Ich wirbelte herum.
»Hey, was ist los? Du siehst aus, als wärst du gerade einem Gespenst begegnet.«
Gespenster. Das war alles, was mir von meiner Familie geblieben war, meinen Freunden, meinem Xavier. Ich würgte Galle hinauf und sah mich verzweifelt um. Da, ein Müllschlucker. Schnell beugte ich den Kopf über die Kipplade und erbrach mich, verlor so die wenigen wertvollen Bissen Essen wieder, die ich mir mittags hineingezwungen hatte.
Ein Weilchen würgte ich allein, dann spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter. »Geht’s?«, sagte Bren. »Soll ich dich zur Krankenstation bringen?«
Ich spuckte noch ein wenig von dem üblen Geschmack aus. »Nein«, sagte ich und zog mich von der Kipplade zurück. »Ich bin nicht krank.« Ich kramte in meinen Taschen nach einem Taschentuch.
Bren zog eine Papierhandtuch aus einem Spender an der Wand. Ich putzte mir die Nase mit dem dargebotenen Viereck und warf es in den Müllschlucker. Dann drückte ich
einen Knopf an der Seite, worauf die Lade hinunter in seinen Bauch verschwand, zur Verbrennungsanlage, und durch eine neue ersetzt wurde. Ein leises Brummen war zu hören, das besagte, dass der Beweis meiner Schwäche gerade vernichtet wurde.
Nachdem der Brechreiz vorbei war, fühlte ich nichts als überwältigende Trauer. »Willst du mir sagen, woher das kam?«, fragte Bren. »Vom Mittagessen? Oder leidest du noch an Stasis-Erschöpfung?«
»Nein. Das heißt, ja, aber daran lag es nicht.« Eine neue Welle der Übelkeit stieg auf, aber ich unterdrückte sie. »Warum hat mir niemand gesagt, wie schlimm die Dunkle Epoche war?«
»Hat man nicht?« Bren schien verwundert. »Ich dachte, Reggie hätte es dir erzählt.«
»Einen Teil, aber ich habe es wohl nicht so richtig aufgenommen.« Durch die Nachwirkungen der Stasis und den Schock hatte mich anfangs nichts richtig berührt.
Die Geschichten an diesem Nachmittag – von ganzen Gemeinden, die unter Todesqualen umkamen, von Menschen, die morgens vollkommen gesund aufwachten und nachmittags tot waren, vom Zusammenbruch der Infrastruktur, der alles noch schlimmer machte ...
Bren guckte immer noch ratlos. »Und was hat das eben nun ausgelöst?«
»Die Geschichtsstunde«, sagte ich. »Wir haben durchgenommen, wie sie alle gestorben sind. All meine Freunde und Bekannten. Mein Freund.«
Nun verstand er, und sein Gesicht wurde sanft. »Oh«, machte er. Er schien ein bisschen verlegen, dann sagte er: »Möchtest du darüber reden?«
»Nein. Aber ich ...«
»Was?«
Es war mir peinlich, trotzdem sagte ich es. »Ich möchte jetzt nicht gern allein sein.«
Bren legte einen Arm um mich, ein warmes Gewicht, das mich erdete. »Du bist nicht allein.« Seine Stimme war wie ein Samtkissen. »Komm, ich bring dich an die frische Luft.«
»Musst du nicht in deinen Unterricht?«
»Der kann warten.«
Dem wollte ich nicht widersprechen. Er führte mich hinaus in den Hof und setzte sich mit mir auf eine Bank unter einer Trauerkirsche, die gerade ihre Blüten in der Frühlingsluft entfaltete. Der zarte Duft und der noch kühle Wind vertrieben tatsächlich die Übelkeit. Bren beobachtete mich fürsorglich, mit diesen Augen wie frische Blattknospen. Ich wollte mein Gesicht an seine Brust lehnen und hundert Jahre weinen, aber ich tat es nicht.
»Kann ich dir etwas bringen?«, fragte er. »Ein Glas Wasser oder so?«
»Nein, danke.«
Wir schwiegen.
»Kann ich sonst etwas für dich tun?«
Ich zögerte. Es gab da etwas, aber ich wusste nicht, ob er dazu bereit war.
»Egal, was es ist«, erbot er sich, meine Unschlüssigkeit spürend.
»Erzähl mir von der Dunklen Epoche«, sagte ich.
Er sah mich forschend an. »Bist du sicher?«
»Ja«, flüsterte ich. »Ich würde es lieber von einem Freund hören.« Dann merkte ich, was ich gesagt hatte. »Du bist doch ein Freund, oder?«
»Natürlich«, antwortete er schroff. »Also gut.« Er kratzte sich am Kopf. »Wo
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