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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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hatte, kamen ihr fremd vor. Frederics Atem war nicht mehr in ihnen.
    Ihr Mann hatte sie endgültig verlassen.
    Er war im Jenseits gewesen, und das Jenseits war nicht so weit entfernt, vor allem nicht in den Tagen vor und nach Samhain. Doch jetzt befand er sich an einem anderen Ort, so entsetzlich fern, dass sie ihn nicht mehr spüren konnte.
    Alle Hoffnung in ihrem Leben war in dieser Nacht dahingeschwunden. Zum ersten Mal fühlte sie sich wirklich allein. Das Haus, der Garten, die Erinnerungen, das alles war nichts mehr wert.
    Sie wusste: Wenn sie eines Tages sterben und in das Reich der Toten eingehen würde – sie würde Frederic dort nicht mehr antreffen …

2
    Eine Woche später …
    „Er passt dir, glaub’s mir.“
    Sir Darren schlüpfte in das Oberteil des Smokings, obwohl ihm die Hose schon zu eng war. Er war hager, aber nicht gerade ein Zwerg, und diese Kleidung war für einen kleineren Mann geschneidert worden.
    „Percy“, schnaufte er. „Ich besitze gepflegte Anzüge aus distinguierten Stoffen, maßgeschneiderte Anzüge, und ich sehe nicht, warum ich mich in dieses lächerliche Karnevalskostüm zwingen soll.“
    Sein Gegenüber lachte nervös und betrachtete abwechselnd Sir Darren und sein Spiegelbild, als könne ihm der eine etwas enthüllen, was ihm das andere verbarg. „Jede Familie hat eben ihre Traditionen, mein Lieber, und ich darf dich daran erinnern, dass du mir versprochen hast …“
    „… mich an die deinen zu halten.“ Der 52-jährige rotierte unablässig mit den Schultern und schien darauf zu warten, dass sie sich entweder in das Jackett fügten oder es wenigstens zerplatzen ließen. Sie taten keines von beiden. Die Kleidung sah einfach nur nach dem aus, was sie war: zwei Nummern zu klein – ein kleines, privates Gefängnis, eine Zwangsjacke. „Percy, ich weiß deine Gastfreundschaft zu schätzen und tue, was ich kann. Ich nehme meinen Tee direkt nach dem Mittagessen, auch wenn mir schleierhaft ist, wie eine britische Familie zu einer solchen Gewohnheit kommt. Ich assistiere deiner Frau beim Abtrocknen, rede mit deinen Kindern in ihrem merkwürdigem Idiom, das mit dem Englischen kaum mehr viel gemein hat, ich lasse den Toilettendeckel oben und verliere vor allem niemals ein Wort über deine … über unsere Vergangenheit. Aber die Sache heute Abend …“
    „Die Tiddlingsons sind hohe Gäste. Ich habe es dir erklärt: Er ist mein Chef, und sie ist Dorothys Ballettlehrerin. Letztes Jahr trug er einen Smoking, als sie uns zu Halloween besuchten, und ich habe mich mit der Jeans und dem gelben Hemd höllisch blamiert. Dieses Jahr muss alles anders werden.“
    „Bin ich etwa nicht dein Gast?“
    „Darren, ja, Darren, sicher!“ Er fuchtelte mit den Händen und stieß beinahe den Spiegel um. „Natürlich bist du mein Gast. Natürlich! Aber das ist etwas anderes. Du bist weder mein Vorgesetzter …“
    „… noch deine Ballettlehrerin“ ergänzte der dünne Mann mit dem zerknitterten Gesicht.
    Es klingelte an der Tür – eine Art Gong, viel zu feierlich für das kleine Reihenhäuschen. Percy sah auf die Uhr. „Oh Gott, das müssen sie sein. Fast zwanzig Minuten zu früh!“
    „Vielleicht ein Vertreter?“, schlug Sir Darren vor, doch Percy war bereits aus dem Zimmer gestürzt. Aus dem Nebenzimmer klang das Stöhnen einer Frau. Es hörte sich an, als würde sie sich in ein Kleid zwängen, das sie als Kind einmal getragen hatte. Auch die Dame des Hauses war offenbar mit den Vorbereitungen noch nicht fertig. Irgendwie freute ihn das.
    Während Sir Darren sein unmögliches Spiegelbild anstarrte, fragte er sich zum x-ten Mal, ob es eine gute Idee gewesen war, bei Percy Simms Unterschlupf zu suchen.
    Percy war ein Freund aus Jugendtagen. Sir Darren hatte nicht viele Freunde – er war nie ein geselliger Mensch gewesen, und die wenigsten kamen mit seiner selbstbewussten, herrischen Art zurecht. Leute, die den Ansprüchen gerecht wurden, die er an Menschen und Freunde stellte, und die ihn außerdem ertragen konnten, gab es nur eine kleine Handvoll. Percy hatte einst dazugehört, ein wissbegieriger junger Mann, aufrichtig und loyal, bereit, sich unterzuordnen, und bereit, sein ganzes Leben in den Dienst der spiritistischen Forschung zu stellen, ohne Wenn und Aber. Gemeinsam hatten sie die ersten Kontakte mit der Geisterwelt gehabt, hatten sogar ein Buch zusammen geschrieben, das allerdings nie verlegt wurde.
    Es war eine fruchtbare Zeit gewesen. Bis Dorothy zwischen sie trat. Sir Darren

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