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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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hatte nie verstanden, was Percy an diesem sprunghaften Geschöpf mit den riesigen Eichhörnchenaugen und dem kleinen, runden Mund fand. Sie hatte einen hüpfenden Gang, viel zu lange Arme und einen Haufen lästiger Angewohnheiten. Doch Dorothy war Percys große Liebe, und sie hatte die Macht, alles auszulöschen, was vorher in seinem Leben eine Rolle gespielt hatte. Da Dorothy eine strenge Christin war, die alle Arten von sogenanntem Aberglauben verurteilte, hätte er niemals ihr Gatte werden können, wäre auch nur eine Silbe von seiner spiritistischen Vergangenheit über seine Lippen gekommen. Mit derselben Hingabe, die er zuvor bei seinen Studien bewiesen hatte, eroberte er Dorothy, bastelte sich ein Lügengebäude über seine Vergangenheit zusammen und begann ein vollkommen neues Leben. Seinen Freund und Forscherkollegen ließ er wissen, dass er sich leider nicht mehr mit ihm treffen konnte.
    Diese überraschende Entwicklung hatte Sir Darren dazu bewegt, England zu verlassen und sich auf dem Kontinent umzutun. Kontakte nach Deutschland hatte er schon, da seine Nichte Julie dort mit ihrer Familie lebte. Wenig später hatte er Werner Hotten kennengelernt, war mit ihm zusammen auf Falkengrund gestoßen und hatte das Schloss aus den Klauen des Lorenz von Adlerbrunn befreit.
    Mittlerweile waren Percy und er reife Herren geworden – auch der etwas jüngere Percy hatte dieses Jahr seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Was war es, was Sir Darren zu ihm trieb? Vielleicht der Versuch, noch einmal bei seinen Wurzeln anzusetzen und sich neu zu orientieren?
    Die Geschehnisse rund um den Fliegenden Holländer waren schwer zu verarbeiten. Über zweihundert Lebensjahre hatte er dazugewonnen, als er bis zum Jahr 1798 in der Zeit zurückgeworfen wurde. Lange Zeit war er nicht gealtert, doch nun, wo er wieder in seiner Zeit angelangt war, durfte er sich darauf nicht mehr verlassen. Die beiden Jahrhunderte hindurch hatte er versucht, sich nicht in den Vordergrund zu drängen, nur zu beobachten. Sein Leben hatte er ja bereits gelebt, er wollte gar nicht den Versuch machen, es zu verändern, denn er konnte schließlich nicht als Kind wieder neu anfangen, sondern er war 52 Jahre alt, die ganze Zeit über.
    In den zweihundert Jahren hatte sich manches verändert, nicht nur um ihn herum, auch in seinem Inneren. Der erste Teil seines Lebens war in weite Ferne gerückt, viele Erinnerungen waren verblasst, andere noch gegenwärtig, aber weniger wichtig geworden. Als er wieder im Spätsommer 2004 angelangt war, hätte er nach Schloss Falkengrund in den Schwarzwald zurückkehren und dort neu anknüpfen können. Es wäre seine freie Entscheidung gewesen, ob er den anderen von dem Abenteuer erzählte, das ihn bis nach Indonesien und sogar zum Südpol geführt hatte, oder ob er es verschwieg.
    Doch Falkengrund lag für ihn so weit in der Vergangenheit vergraben, dass er keinen rechten Zugang mehr dazu fand. Einige der Namen der Studenten hatte er bereits vergessen – nicht einmal alle Gesichter fielen ihm mehr ein. Es war ein seltsames Gefühl, so weit zurückreichende Erinnerungen zu haben, Erinnerungen, die entfernt anmuteten, ohne tatsächlich weit in der Vergangenheit zu liegen. Die letzten 52 Jahre hatte er zweimal erlebt. Wahrscheinlich war er der einzige Mensch, dem dieses Schicksal vergönnt oder aufgebürdet war.
    An Percy erinnerte er sich noch. Er hatte nie erfahren, was aus ihm geworden war, und eigenartigerweise interessierte es ihn.
    Jetzt wusste er es. Percy Simms hatte mit seiner geliebten Dorothy fünf muntere Kinder gezeugt und führte ein anstrengendes, chaotisches Leben zwischen seinem Beruf als Industriekaufmann und seinen Pflichten als Familienvater. Der erste Enkel kündigte sich bereits an, und in dem Häuschen in der Kleinstadt Newmarket bei Cambridge war immer etwas los. Sir Darren kam ohne Frage ungelegen, doch daran war er gewöhnt. Er erhielt ein kleines Zimmer und schlief inmitten Hunderter Kakteen. Dorothy konnte ihn nicht leiden, und das beruhte auf Gegenseitigkeit.
    So etwas störte einen Sir Darren wenig. Das Unangenehmere war, dass Percy ihn händeringend angefleht hatte, in seinen vier Wänden nicht eine einzige Silbe über ihre Vergangenheit zu verlieren. Sir Darren war davon ausgegangen, dass Percy seiner besseren Hälfte nach Jahrzehnten der Ehe und fünf Kindern irgendwann einmal seine Jugendsünden gestanden hatte. Doch diesen Mut hatte der Mann nie aufgebracht.
    Und nun … die Tiddlingsons! Sir

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