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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Darren traute sich durchaus zu, mit hohen Gästen in angemessener Weise umzugehen, Gespräche mit geistreichen Kommentaren zu bereichern, wohltemperierte Komplimente zu machen und geschmackvolle Scherze einzustreuen – aber nicht, solange er in diesem engen Smoking steckte und aussah wie ein Hampelmann. Zu guter Letzt legte er sich noch die rote Fliege an, warf einen qualvollen Blick in den Spiegel und fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, irgendwo im Eismeer der Antarktis einen kalten, einsamen Tod zu sterben, als er noch die Chance dazu gehabt hatte.
    Percy führte das Ehepaar herein, als wären sie Könige. In seine unterwürfigen Schmeicheleien mischten sich launische Bemerkungen von Mr. Tiddlingson zum Interieur. Eine einzige dieser Anspielungen hätte Sir Darren gereicht, um jeden noch so erlesenen Gast aus dem Haus zu werfen, doch Percy schienen sie nichts anzuhaben. Sir Darren verließ das Umkleidezimmer, um seinen Jugendfreund ein wenig zu entlasten. Auf dem Flur stieß er mit der Dame des Hauses zusammen. Sie schenkte ihm einen anklagenden Blick und hüpfte weiter, während sie noch ihre Schuhe schloss und ihr Haar frisierte. Dorothy trug eine Art Ballkleid, riesig, rot und duftig, und er fragte sich, wie sie sich damit an den kleinen Tisch im Wohnzimmer setzen wollte.
    Bei Mr. Tiddlingson handelte es sich um einen großen Mann mit einem Körper und einem Gesicht wie ein Boxer. Auch seine Frau war überdimensioniert, mit gewaltigen Schenkeln und schlichten Zügen. Sir Darren versuchte, sie sich als Ballettlehrerin vorzustellen – ohne Erfolg. Beide trugen legere Kleidung, Mrs. Tiddlingson sogar Turnschuhe, und die Garderobe, die Percy und Dorothy sich und ihrem Gast aufgezwungen hatten, wirkte noch lächerlicher als Sir Darren befürchtet hatte. Die Kinder weilten alle außer Haus.
    Sir Darren wurde den Tiddlingsons erst vorgestellt, als sie alle schon saßen, und die beiden taten so, als würden sie ihn auch erst jetzt bemerken.
    „Percys Freunde sind auch unsere Freunde“, versicherte der Firmenchef mit der Boxervisage. „Schön, dass Sie es einrichten konnten.“ Und dann wechselte er jäh das Thema. „Stellen Sie sich vor, wir hätten auf der Herfahrt durch den Wald beinahe einen Druiden überfahren.“
    „Ja!“, rief seine Gattin aufgeregt. „Er hatte lange Kleider an, wie ein Nachthemd. Ich glaube, er wollte gleich an der Straße irgendeine von seinen Beschwörungen veranstalten. Scheußlich, was diese neuen Heiden mit unserem schönen christlichen Fest machen. Und die Verkehrssicherheit erhöht es auch nicht gerade. Also wirklich, ich muss schon sagen!“
    Sir Darren räusperte sich. „Andererseits war Samhain schon lange ein heidnisches Fest, ehe die Christen nach Britannien kamen“, bemerkte er vorsichtig.
    „Ich glaube nicht, dass dieses höllische Samhain irgendetwas mit unserem Allerheiligen zu tun hat“, sagte Mrs. Tiddlingson. „Außerdem – wenn diese Ungläubigen unbedingt ihre Orgien feiern wollen, dann sollen sie es meinetwegen in Stonehenge tun. Nein, Sie brauchen nicht zu denken, ich wüsste nicht, dass diese Druiden in ihren Nachthemden das gebaut haben. Es sieht wirklich nicht aus wie eine Kirche. Es ist ein primitiver, geschmackloser Haufen klobiger Steine, und es wird maßlos überbewertet, wenn Sie mich fragen. Wir haben auf der Herfahrt kurz in der kleinen Kirche in Fiddlewood Halt gemacht. Die Fenster dort sind wunderhübsch, und die Weltöffentlichkeit interessiert es überhaupt nicht.“
    Percys Fuß berührte den seinen, und Sir Darren wusste, was das bedeutete: Keinen Hinweis darauf, dass die Druiden keine Orgien zu veranstalten pflegten. Kein Wort darüber, dass es auch nicht die Druiden gewesen waren, die Stonehenge gebaut hatten. Keine Belehrung, dass der Allerheiligen-Feiertag im 9. Jahrhundert einfach über das keltische Totenfest Samhain gestülpt worden waren. Nichts davon.
    Dorothy lächelte in die Runde hinein, aber es war ein gefrorenes Lächeln, nahe am absoluten Nullpunkt. Ein weiterer, ein ungebetener Gast hatte sich zu ihnen gesellt: das Schweigen.
    „Der Wein ist wirklich ausgezeichnet“, sagte Sir Darren, um ihn zu verscheuchen.
    „In der Tat“, erwiderte Mr. Tiddlingson sichtlich erleichtert. Das Gespräch machte keinen Sinn. Percy hatte den trockenen Weißen eben erst eingeschenkt, und noch niemand hatte davon getrunken.
    „Auf die christliche Tradition von Halloween“, sagte Percy, und Dorothy fügte etwas säuerlich hinzu:

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