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Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Wände leben - Samhain - Ferner Donner

Titel: Wände leben - Samhain - Ferner Donner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Ausbildung. In London läuft unter fünftausend gar nichts.“
    Die Frau richtete sich ein wenig auf. Ihre langen, glatten, weizenblonden Haare hatten sich auf dem Gras ausgebreitet. Wenn sie stand, reichten sie ihr bis zum Po. „In Coventry, sagst du? Das sind die Cromlech Dancers, nicht wahr? Wenn du bei denen Druide werden willst, musst du dich vorher von deiner Frau scheiden lassen.“
    „Ich habe gehört, es sei ein Gerücht, dass sie nur Ungebundene nehmen. Ich kenne jemanden, der kennt jemanden, der …“
    „Ich war eine Zeitlang mit einem Mann von den Cromlech Dancers zusammen. Den ganzen Körper voller Narben, und zu jeder eine Geschichte. Eine ziemlich kriegerische Sippe, wenn du mich fragst.“
    „Sie sollen großen Zulauf haben.“
    „Von Leuten, die das Christentum zerschlagen und das alte Keltenreich mit Waffengewalt wiederherstellen wollen. Und sie bilden Druiden in einem Jahr aus – die Kelten haben damals zwanzig Jahre lernen müssen.“
    Der Mann seufzte, erhob sich und massierte seine schweren Glieder. Verwirrt sah er in die Nacht hinaus. Es war alles so schrecklich kompliziert und unklar. Die Neukelten waren ein Flickenteppich aus uneinheitlichen Gruppen. Ständig musste man sich fragen, bei welcher der vielen Gemeinschaften man am besten aufgehoben war. Und dann gab es da noch die Neuheiden auf dem Kontinent mit ihren Neugermanen, Neugoten und wie sie alle hießen. Man respektierte sich über die Entfernung hin, aber wenn man sich zu nahe kam, begann man sich über Detailfragen zu streiten. Auch die neuen Hexen der Wicca-Bewegung beriefen sich auf die Kelten und fügten den wissenschaftlich plausiblen Riten tausend neue hinzu, bis ein Durcheinander von Formen und Symbolen entstand, aus dem man kaum mehr herausfand.
    Manchmal fragte er sich, ob es nicht doch einfacher gewesen wäre, sich an der Botschaft der Bibel oder eines anderen heiligen Buches festzuhalten, als einen Glauben rekonstruieren zu wollen, der von denen, die ihn praktiziert hatten, nie auf dem Papier festgehalten wurde. Dass die Ausbildung zwanzig Jahre in Anspruch nahm, lag daran, dass die Druiden gegen eine schriftliche Fixierung ihrer Glaubenssätze und Legenden gewesen waren und sie mündlich weitergeben mussten. Dieser Umstand war heute die Stärke und Schwäche des keltischen Glaubens zugleich. Die Neukelten ließen sich von tiefen religiösen Gefühlen leiten, anstatt an Dogmen und Büchern zu haften – andererseits blieb oftmals in der Schwebe, ob das, was man tat, auch tatsächlich seine Wurzeln in der Geschichte hatte. Die mündliche Überlieferung war unterbrochen worden, und es war unmöglich, sie zu rekonstruieren.
    Mittlerweile hatten sich die meisten um den Holzhaufen versammelt. Die Symbole, die man für die Feier brauchte, waren herbeigetragen worden – das Schwert, der Kelch, der Stab und die Scheibe. Symbole, die auch im Tarot auftauchten und die viele eher mit der Wicca-Tradition in Verbindung brachten. Der Druide hatte entschieden, dass sie in ihrer Gruppe Verwendung fanden.
    Das Schwert brauchte man für das Luftopfer, den Kelch für das Wasseropfer, den Stab für das Feueropfer und die metallene Scheibe für das Erdopfer. Als alle herangekommen waren, zog Corann mit dem Schwert einen Kreis um den Holzhaufen. Er rief Taranis an, den Gott der Totenwelt, vollführte die Opfer. Jetzt durften die Fackelträger das Holz entzünden.
    Die letzten Nächte waren feucht und neblig gewesen, es hatte mehrmals geregnet. Entsprechend lange dauerte es, bis das Holz endlich Feuer fing. Ein schwerer milchigweißer Rauch schraubte sich spiralförmig in den Himmel, und nur langsam fraß sich das Feuer durch den Berg aus Holz.
    Jemand schlug eine Bodhran, eine keltische Rahmentrommel, und die anderen sangen dazu. Jeder dachte an seine Ahnen, daran, was sie getan hatten, was man ihnen verdankte. Manche Neukelten behaupteten, das Samhain-Ritual müsse die bösen Totenseelen abwehren, die aus dem Jenseits herüberkamen und in die Körper von Lebenden zu schlüpfen suchten. Aus diesem Abwehrzauber war angeblich der Halloween-Brauch entstanden, schauerliche Verkleidungen anzulegen und durch die Straßen zu ziehen. Doch eine andere Sichtweise behauptete das Gegenteil – die Toten sollten nicht abgewehrt, sondern herbeigerufen werden. Daran glaubten die meisten Neukelten heute.
    Die Flammen schlugen träge und riesig in den schwarzen Himmel. Der Feuerschein hüllte die kleine Gruppe ein, und jeder fühlte sich einen Moment

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