Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
Junge bemerkt meinen verzweifelt suchenden Blick und fragt ausgesprochen freundlich, ob er mir irgendwie helfen könne.
Erkläre ihm, dass ich jemanden suche, der bereit sei, auf der Zugtoilette schnell mal meinen Ausschlag am Rücken zu fotografieren. Müsste auch nicht umsonst sein, ich würde fünf Euro zahlen.
Der Junge springt auf und rennt, so schnell er kann, davon.
Eine ältere Frau im blauen Kostüm, die vier Reihen weiter hinten meine Frage gehört hat, ruft erschütternd laut: «Wennse mir zwanzig Euro geben, fotografiere ich Ihnen den Hintern auch noch mit!»
Versuche ihr zu erklären, es gehe wirklich nur um ganz seriöse medizinische Fotos für eine ärztliche Diagnose. Andere Mitreisende machen weitere Angebote. Jemand behauptet, er könne den Ausschlag in 3 -D fotografieren, für fünfzig Euro. Winke ab: «Ich würde den Ausschlag gerne lieber flachhalten.»
Der Junge kommt zurück mit einer Frau an der Hand: «Hier, Mama, der Mann hat gesagt, er gibt mir fünf Euro, wenn ich ihn nackt fotografiere.»
Erkläre der aufgeregten Mutter und dem dahinter stehenden Schaffner, dass es nur um meinen Rückenausschlag gehe. Und wenn es der Beweisführung diene, könne ich ihm, dem Schaffner, den auch gern mal zeigen.
Er meint, er habe da was an der Wade, ob ich vielleicht Lust hätte auf einen Vergleich ohne Wettbewerb.
Die Mutter schimpft, sie träume von einer Welt, in der es möglich sei, Bahn zu fahren, ohne eklige Ausschläge fremder Männer gezeigt zu bekommen. Der Junge meint, er wolle jetzt doch fotografieren und die fünf Euro haben. Die ältere Frau brüllt, sie habe den Job schon, mitsamt meinem Hintern für zwanzig! Ein Tumult entsteht.
Die Assistentin des Hautarztes ruft an. Sie meint, sie könne mir jetzt das Rezept für die neue Salbe schicken. Ich solle einfach von der nächsten Apotheke aus anrufen, dann würde sie es dorthin mailen. Bin überrascht. Frage, wieso der Arzt denn schon das neue Rezept ausstellen konnte, ich hätte ihm doch noch gar nicht die aktuellen Fotos übermittelt.
Sie lacht, ja, davon habe er erzählt. Aber die ersten Fotos hätten bereits völlig gereicht. Aufgrund meiner lustigen Sprüche, von wegen Hautarzthölle und so, habe er nicht zurückstehen wollen und mir eine witzige kleine Aufgabe für die restliche Zugfahrt gegeben.
Lasse dann noch den Jungen und die Frau im blauen Kostüm Erinnerungsfotos von meinem Rückenausschlag machen. Zum Teil auch mit der Mutter und dem Wadenausschlag des Schaffners. Wir haben durchaus Spaß, und zur Belohnung spendiere ich allen ein Getränk ihrer Wahl.
Rund eine Woche später verschwand der Ausschlag. Einfach so. Die Ursache blieb ungeklärt. Beunruhigt war ich nur, als der folgende Winter bis in den März und April andauerte, also tatsächlich sehr hart und sehr lang wurde. Der kälteste März seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – wodurch das, was der Computer da in indianischer Zeichensprache auf meinem Rücken gelesen hatte, eingetroffen war.
Mal angenommen, dies war wirklich kein Zufall, sondern es ließe sich beweisen, dass – wenn ich in Berliner Kartoffelsalat schlafe – auf meinem Rücken eine absolut verlässliche Langzeitwettervorhersage in indianischer Zeichensprache erscheint: Was für ein eigenartiges Talent wäre das? Könnte man das irgendwie nutzen? Würde man dann beispielsweise in den Abendnachrichten, nach all den Satellitenbildern vom Wetter, auch noch ein aktuelles Foto meines Rückens zeigen, von dem ein Experte für indianische Zeichensprachen die langfristige Entwicklung abliest?
Ich fürchte, selbst wenn dies möglich wäre, würde ich mich doch lieber vom Wetter überraschen lassen.
Was YouTube von mir denkt
Montagnachmittag. Sitze im Foyer des Bayerischen Rundfunks in München und warte. Ich bin viel zu früh für mein Interview, aber weil es in der Empfangshalle WLAN gibt, nutze ich die Zeit und schaue auf dem Laptop nach Mails. Entdecke unter anderem eine Werbung für Prothesen. Bein-, Arm- oder auch Hüftprothesen seien im Moment so günstig und so gut wie noch nie. Ich müsse jetzt zuschlagen. Frage mich, warum sich jemand Beinprothesen auf Vorrat und im Internet kaufen sollte? Doch mehr noch frage ich mich: Wieso schicken die mir so etwas?
Die Moderatorin, eine sehr charmante, hochintelligente und schöne Frau Mitte fünfzig, kommt in die Halle. Sie entschuldigt sich dafür, dass ich warten musste, dabei bin ich immer noch viel zu früh dran. Da wir noch nicht ins Studio
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