Wärst du doch hier
Mund, als wären auch Vera und Michael in einem gepanzerten Fahrzeug im Irak gestorben.
»Es gibt also keine anderen Verwandten«, hatte Major Richards dann gefragt, »oder Corporal Luxton nahestehende Personen, die unterrichtet werden sollten – ich meine, nicht nur von ihnen, sondern auch von offizieller Seite?«
»Nein«, hatte Jack gesagt.
»Sie sind demnach der einzige lebende Verwandte?«
»Ja«, sagte Jack mit heiserer Stimme, als könnte das eine weitere Fangfrage sein, nur noch verfänglicher. Er hatte jetzt deutlich den Eindruck, dass er unter Verdacht stand, falls er nicht sogar verhört wurde oder vor Gericht stand. Deshalb war er überrascht, als Major Richards plötzlich sagte, und zwar mit denselben Worten, die er zuvor benutzt hatte, aber indem er ihn direkt und anders, irgendwie milder ansah: »Lassen Sie mich Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen.« Er sagte es so, als wäre er, Major Richards, in dem Moment zu einem der Verwandten geworden, deren Existenz gerade verneint worden war, eine Art Kurzzeit-Vater, und als hätte er Jack gern am Arm gefasst, als Ausdruck dafür, dass er verstehe, dass Jack aus demselben Holz geschnitzt sei wie der Mann, von dem hier die Rede war, und dass er, Jack, und Tom austauschbar seien. Die Brüder Luxton.
Und das würde Jack niemals vergessen. So wie er auch den Moment nie vergessen würde, als er vom Fenster aus den schwarzen Wagen auf dem Wendeplatz hatte haltensehen – auf demselben Wendeplatz, der jetzt unten vor dem Haus ein Muster aus Pfützen ist – und den unmöglichen Gedanken hatte, dass diese uniformierte Gestalt Tom sein könnte.
Jack spürte, wie jetzt, unter Major Richards’ Blick, ein Zittern über ihn kam, so wie unter Ellies Blick in dem Moment, als sie beide den Brief gelesen hatten, und er begann sich zu wünschen, dass Major Richards gehen möge.
Aber Major Richards gab Jack einen Stapel Papiere aus der Mappe, alles Kopien, die für Jack waren, und begann zu erklären, dass »aufgrund der Umstände vor Ort« das genaue Datum für die Repatriierung von Corporal Luxtons Leiche noch nicht feststehe, dass es aber in Kürze sein würde und Jack umgehend davon unterrichtet würde. Selbstverständlich würde auch eine Zeremonie stattfinden, und sobald der Gerichtsmediziner die Leiche freigab, würde alle Unterstützung gewährt, um die Vorkehrungen für die Bestattungsform, für die man sich entschieden hatte, in die Wege zu leiten. Unterdessen möge Jack sich jederzeit unter der Durchwahl (Major Richards gab ihm jetzt noch eine Nummer) mit ihm in Verbindung setzen.
Das fügte dem, was schon in dem Brief gestanden hatte, nur wenig hinzu, und Jack begann sich zu fragen, während Major Richards weitersprach, ob die unspezifizierte Verzögerung, das Wort »Umstände« sowie der befremdliche Ausdruck »vor Ort« (wo sonst fanden Umstände statt?) damit zu tun haben könnten, dass es gar keine Leiche gab, wenigstens nicht im geläufigen Sinne des Wortes, oder dass der Tod von Corporal Luxton und seinen Kameraden vielleicht doch nicht so schnell eingetreten war. Dass der »Vorfall« – auch dieses Wort war irgendwannbenutzt worden – seitens der Armee sorgfältig untersucht werden musste. Bisher hatte niemand das Wort »Leiche« benutzt.
Aber hauptsächlich versuchte Jack, das Zittern in seinem Körper zu beherrschen.
Vielleicht bemerkte Major Richards das. Jedenfalls sah er (er war schließlich kein ungeübter Beobachter), dass dieser Besuch nicht viel länger dauern sollte, auch wenn die eine oder andere Frage noch geklärt werden musste. So hatte er, für alle Fälle, Kopien neuerer Fotos von Corporal Luxton dabei, kam aber rasch zu der Einschätzung, dass dies nicht der Moment sei, sie aus der Mappe zu ziehen. Der Hauptgrund für seinen Besuch – einfach, dass er gemacht werden sollte – war erfüllt. Das Bataillon war repräsentiert worden, in Person und in Uniform. Dies, wusste Major Richards, war von seinen verschiedenen Aufgaben die wichtigste und die mit dem größten symbolischen Gehalt. Und oft natürlich die schwierigste. Aber Major Richards wusste nur zu gut, dass Soldaten oft viel schwierigere Aufgaben zu erfüllen hatten.
Bei mehreren Gelegenheiten – die in letzter Zeit von besonderer Anspannung gekennzeichnet waren – hatte Major Richards die Nachricht persönlich überbringen müssen. Die Nachricht, dass ein Soldat gefallen (zum Glück nicht allzu oft), verwundet worden war oder im
Weitere Kostenlose Bücher