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Wärst du doch hier

Wärst du doch hier

Titel: Wärst du doch hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Swift
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sahen   – war er verschwunden.
    Die beiden Fahrer hatten offensichtlich begriffen, wer er war, und waren einen Schritt zurückgetreten. Die Fahne hatte man entfernt. Jetzt war da nur das blanke Holz mit der Messingplatte (und ohne Blumenschmuck). Der Sarg unterschied sich darin von den anderen beiden   – und auch das würde jeder bemerken und in Erinnerung behalten   –, und doch war alles genau nach Anweisung. Major Richards hatte am Telefon erklärt, in diesem außergewöhnlichen Fall (da die Leichenwagen nicht von der Armee gestellt wurden) würden die Fahnenentweder auf dem Sarg belassen oder, sollte das der Wunsch der Trauerpartei sein, von den Trägern entfernt, zusammengefaltet und übergeben. Major Richards hatte ihm weder das eine noch das andere nahegelegt, aber Jack hatte auch hier das Gefühl, als würde man ihm anbieten zu gehen, während es sich aber gehörte, sich nicht vom Fleck zu rühren.
    Aber Jack hatte gesagt   – es war aus ihm herausgeplatzt, eine seiner gelegentlichen unvermittelten Äußerungen   –, dass er die Fahne nicht wolle. Wenn er das entscheiden könne, dann würde er so entscheiden. Er wollte nicht, dass sie auf dem Sarg verblieb, und er wollte sie nicht behalten. Er hatte gesagt   – und auch das war eine spontane Äußerung gewesen   –, sie solle an das Bataillon übergeben werden. Er hatte dasselbe Wort benutzt wie Major Richards. Er wollte die Fahne dem Bataillon überlassen.
    Denn was hätte er damit tun sollen? Wo hätte er sie hingetan? Sie hatten keinen Fahnenmast   – wieder kam ihm dieser Gedanke. Aber abgesehen davon wollte er keine Fahne als Geschenk. Major Richards hatte am anderen Ende des Telefons einen Moment geschwiegen und dann (mit einem vernehmbaren, aber verlegenen Seufzer der Erleichterung) gesagt: »Das ist eine   … noble Geste, Mr.   Luxton. Aber sollten Sie es sich anders überlegen   …«
     
    Er riss seine Hände vom Sarg zurück, von dem blanken Holz, und wandte sich den beiden Fahrern zu. Er war von der Bestimmtheit und Entschlossenheit überrascht, die ihm offenbar plötzlich zu Gebote standen. War es derSarg? Er schüttelte den Fahrern die Hände. Er sagte: »Ich bin Jack Luxton, der Bruder von Tom Luxton. Ich bin Ihnen sehr dankbar.« Ihm kam es seltsamerweise wie eine Umkehrung der Handschläge vor, die es erst vor Kurzem in dem Gebäude gegeben hatte. Es kam ihm so vor, als wäre er ein übergeordneter, hochstehender Würdenträger, der den beiden Fahrern wegen ihres großen Verlusts kondolierte. Er spürte ein plötzliches Mitleid, aber auch eine Bewunderung, ein seltsames Neidgefühl gegenüber diesen Männern, die mit der Leiche seines Bruders im Fonds gut einhundertfünfzig Meilen fahren mussten. Und er hatte plötzlich das Gefühl, dass er ihnen etwas zumutete und selbst vor einer Aufgabe kniff, die eigentlich seine gewesen wäre. Wäre es möglich gewesen   – hätte der Sarg hineingepasst   –, vielleicht hätte er ihnen angeboten, im Cherokee die Rückbank umzuklappen und ihre Aufgabe zu übernehmen.
    Sie aber sahen ihn an, als wollten sie ihm salutieren. Sie sagten »Sir« und »Mr.   Luxton.« Er hatte den Wunsch, auch diese Männer in seine Arme zu schließen. Stattdessen nahm er seine Brieftasche aus der rückwärtigen Hosentasche, klappte sie auf und befühlte die Ränder der Scheine in den Fächern. Es war ihm gleichgültig, ob sich das schickte. Und es war ihm gleichgültig, dass es jetzt vierzig Pfund waren, für beide, statt zwanzig. Wann würde dergleichen je wieder passieren? Er hatte keine Vorstellung gehabt, welche zusätzlichen Kosten auf dieser außerordentlichen Reise auf ihn zukommen würden, aber er hatte am Automaten reichlich Bargeld gezogen, für alle Fälle. Es war Geld, das er sonst nur in Santa Lucia ausgegeben hätte.
    Er gab jedem von ihnen einen Zwanziger. Sie hätten so tun können, als würden sie abwehren, aber sie sagten nur: »Vielen Dank, Sir   … Vielen Dank, Sir«, als hätte er jeden von ihnen mit einer Medaille dekoriert. Eine Medaille hatte er tatsächlich in der Tasche.
    »Sehen wir uns morgen früh?«, sagte er.
    »Marleston, All Saints. Halb elf«, sagte einer von ihnen schnell. »Wir tragen den Sarg mit den anderen.«
    Er würde, zusammen mit fünf (von Babbages bestellten) Männern, auch beim Tragen helfen, das wusste er, schließlich hatte er niemanden sonst, den er leicht fragen oder dafür auswählen konnte. Gut, dachte Jack, drei der Träger hatten gezeigt

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