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Waffenschwestern

Waffenschwestern

Titel: Waffenschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Moon
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steckte. Sie konnte jedoch einen 513
    Hinweis hinterlassen, den niemand vor dem Herbst finden würde, vielleicht selbst dann nicht.
    Mit der scharfen Spitze des Schälmessers markierte sie den Baum, unter dem die Babys lagen, mit dünnen Markierungen, aus denen sich später deutlich erkennbare Narben entwickeln würden. Vielleicht. Es war ihr Name, jede einzelne Silbe davon.
    Sie hätte gern mehr geschrieben. Sie wollte mit diesem
    Messer auf jeden Baum kritzeln, was die ganze Zeit unterdrückt worden war … aber sie rief sich selbst zur Ordnung. Keine Schwäche mehr! Sie musste heute noch die Mauer testen, die eigene Kraft an deren Höhe messen. Sie wickelte ein Stück Garn um das Messer und hängte es sich um den Hals, holte dann die Stoffstreifen hervor, die sie angefertigt hatte, und band damit die Brüste flach. Wenn es Zeit für die Flucht wurde, wenn der richtige Zeitpunkt kam, dann würde sie sich die Brüste
    flachbinden, ehe sie das Kleid schloss … aber heute diente es nur der Übung.
    Nach einem letzten Blick auf die schlafenden Babys wandte sie sich ab und ging zur Mauer hinüber. Ein letzter Blick zurück, um sicherzustellen, dass man sie durch das dichte Laub nicht sehen konnte … nein. Sie wandte sich erneut der Mauer zu und nahm ihren Mut zusammen. Es war die ruhigste Zeit des Tages, unmittelbar nach dem Mittagessen. Sie hatte eine gute Chance, dass sich derzeit niemand hinter der Mauer aufhielt. Falls dort jemand war … falls er sie sah … sie zögerte. Heute war es noch nicht so weit. Sie brauchte die Mauer heute nicht zu
    überwinden, und es wäre eine Katastrophe, wenn man sie
    unerwartet erwischte.
    514
    Sie blickte zu den Babys zurück. Sie schliefen weiter. Als sie sich wieder zur Mauer umdrehte, blickte ein Mann herüber.
    Brun erstarrte, bewegungslos vor Schreck.
    Der Mann starrte sie an. »Brun?«, fragte er leise.
    Ihr Herz machte einen Satz und hämmerte los. Jemand, der ihren Namen kannte – der ihren Namen benutzte! Es musste ein Rettungsversuch sein. Sie nickte, schwindelig vor Erleichterung.
    »Können Sie herüberklettern?«
    Sie nickte erneut, und ein Ballen aus braunem Stoff flog auf sie zu. Sie warf sich wütend zurück. Der Mann redete sie jedoch über die Mauer hinweg erneut an, drängend und kaum laut genug, um ihn zu verstehen. »Ziehen Sie das an. Decken Sie Kleid und Haar ab. Nur wenige haben hier derart helle Haare.
    Warten Sie dann, bis ich Sie rufe … ich halte nach Fahrzeugen Ausschau. Bringen Sie nicht die Babys mit; man wird für sie sorgen.«
    Die Babys! Sie hatte jedem nur ein paar Tropfen verabreicht-ob sie wohl lange genug schliefen? Sie zerrte den langen Rock bis zur Taille hoch, rannte zu ihnen hinüber, fummelte mit der Kanne herum und goss sich etwas von dem mit Honig gesüßten Gebräu auf die Handfläche. Ob sie davon tranken? Konnten sie es herunterschlucken? Tatsächlich öffneten die Kleinen für ihren Finger den Mund und nuckelten, und sie träufelte jedem mehr von dem Gebräu ein. Dann zog sie sich das neue Kleidungsstück über – ein mantelähnliches Ding mit Kapuze, zu warm für tagsüber – und lief zur Mauer zurück. Schon in diesen wenigen Augenblicken spürte sie, wie schön es war, an den Beinen un-behindert zu sein, nicht von dem engen Rock eingeschränkt zu werden. Während sie wartete, überlegte sie, wie sie dem Mann 515
    begreiflich machen konnte, dass sie Hazel und die kleinen Mädchen finden mussten. Sie konnte ohne sie nicht fortgehen; wenn sie schon den eigenen Kindern nicht die Schrecknisse dieses Planeten ersparen konnte, musste sie wenigstens Hazel und die Kleinen retten.
    »Jetzt«, sagte er. Sie stand auf; sie überragte die Mauer und konnte sie mühelos überwinden. Die Mauerkrone war breit genug, um darauf zu liegen; sie wickelte den Mantel um sich und ließ sich herunterfallen; der Mann fing sie auf. »Sind die Babys dort drin?«, fragte er. »Wann werden sie losschreien?«
    Wieso glaubte er, dass sie darauf eine Antwort wusste? Sie ahmte Trinken und Schlafen nach, und er nickte.
    »Kommen Sie mit«, sagte er. »Wir müssen zum Wagen.« Er
    packte ihren Arm. »Senken Sie den Blick«, erinnerte er sie.
    Schäumend blickte Brun auf das unebene Pflaster und ließ sich von ihm führen. Sie wollte nicht auf der Straße mit ihm streiten, wo es jeder sehen konnte, aber sie musste ihn von ihren Absichten bezüglich Hazel überzeugen.
    Er blieb neben einem Bodenfahrzeug stehen, das mit anderen in einer Reihe parkte. Er öffnete

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