Waffenschwestern
wollte darüber nicht nachdenken. Nicht hier; nicht jetzt.
»Wissen Sie, wir haben draußen eine Videoüberwachung«,
sagte der Mann und lehnte sich ein wenig zurück. »Als Ihre 105
Würfel-ID auf meinem Bildschirm aufleuchtete, habe ich die Aufnahmen abgespielt. Sie sind die Straße entlangstolziert wie jemand, der echt sauer ist. Dann sind Sie an der Schwelle hängen geblieben und nach nur einem kurzen Blick aufs Schild hier eingekehrt. Hat Ihnen schon irgendjemand von dieser Kneipe erzählt?«
»Nein.« Selbst für die Verhältnisse von Bruns gegenwärtiger Stimmung klang das verdrossen, und sie ergänzte: »Ich hatte eine Liste von Etablissements erhalten, die verschiedene Spezialitäten anbieten, meist sexueller Natur. Sie haben Codes aus Lichtmustern in den Fenstern, hieß es im Instruktionswürfel.
Alles andere böte allgemeine Unterhaltung.«
»Also, wie man auf dem Video auch sehen konnte, waren Sie wütend, dachten daran, etwas zu trinken, und sind in die erste Kneipe eingekehrt, die Sie sahen.« Seine Lippen zuckten.
»Echte Spitzenüberlegung für jemanden mit Ihren Ergebnissen bei Intelligenztests.«
»Auch clevere Leute können sauer werden«, sagte Brun.
»Auch clevere Leute können sich dumm benehmen«,
entgegnete er. »Sie sollten doch ständig eine
Sicherheitsbegleitung haben, oder nicht? Und wo sind die Leute?«
Brun spürte, wie sie erneut rot wurde. »Sie sind…« Sie wollte sagen ein echter Klotz am Bein, wusste aber, dass dieser Mann das für kindisch halten würde. Jeder schien es für kindisch zu halten, wenn man nicht wollte, dass ein Dutzend Leute ständig um einen herumlungerten, private Gespräche mithörten, alles belauschten und im Auge behielten, einfach … immer dort 106
waren, wo Brun sie nicht haben wollte. »Auf dem Stützpunkt, denke ich«, sagte sie.
»Sie haben sich hinausgeschlichen«, sagte der Mann, und es klang nicht im Geringsten nach einer Frage.
»Ja. Ich wollte etwas…«
»Zeit für sich selbst. Ja. Und deshalb riskieren Sie nicht nur das eigene Leben, was Ihr Recht als Erwachsene ist, sondern auch die Sicherheit und die berufliche Zukunft Ihrer
Leibwächter, nur um etwas Zeit für sich zu haben.« Jetzt war die Verachtung, die sie schon gespürt hatte, in seinem Ausdruck und Tonfall deutlich geworden. Diese braunen Augen ließen keine Ausrede zu, weder für sich selbst noch für sonstjemanden.
»Denken Sie, Ihr Attentäter nähme sich auch ein wenig Auszeit, Zeit, um sich ein bisschen zu entspannen?«
Brun hatte über den Attentäter nur nachgedacht, wenn sie es nicht mehr vermeiden konnte; sie hatte ganz gewiss nicht überlegt, ob ein Attentäter sich an dieselbe Zeitplanung hielt wie sein Opfer. »Ich weiß es nicht«, murmelte sie.
»Oder was aus Ihren Wachleuten wird, falls Sie umgebracht werden, während sie nicht dabei sind?«
»Ich habe mich davongeschlichen«, sagte Brun. »Es wäre
nicht ihre Schuld.«
»Moralisch nicht. Beruflich schon. Es ist ihr Job, Sie zu beschützen, ob Sie nun kooperieren oder nicht. Falls Sie sich davonmachen und umkommen, wird man ihnen die Schuld
geben.« Er legte eine Pause ein. Brun wusste nicht, was sie sagen sollte, und blieb still. »Also… Sie sind wütend geworden und hier hereingestürmt. Haben eine Bestellung aufgegeben.
107
Haben angefangen, sich umzusehen. Haben das Dekor
bemerkt.«
»Ja. Bruchstücke von Schiffen. Das ist… morbide.«
»Nun, in diesem Punkt junge Dame, irren Sie sich.«
Angesichts einer Gegenmeinung hatte Brun das Bedürfnis, Argumente vorzubringen. »Doch, ist es. Welchen Sinn hat es, Teile toter Schiffe aufzubewahren und … und die Namen von Personen draufzuschreiben, wenn nicht eine morbide
Faszination für den Tod?«
»Sehen Sie mich an«, sagte der Mann. Erschrocken gehorchte Brun. »Sehen Sie richtig hin«, sagte er. Er setzte den
Schwebestuhl ein wenig zurück und deutete auf seine Beine …
die auf halber Länge der Oberschenkel endeten. Brun sah hin, wollte nicht richtig, tat es aber gründlich, und entdeckte immer mehr Spuren alter, ernsthafter Verletzungen.
»Keine Regenerationstanks auf einem Geleitschiff«, sagte der Mann. »Es ist zu klein. Ein Kamerad hat mich in eine
Fluchtkapsel gesteckt, und als die alte Cutlass hochging, war ich in sicherer Entfernung. Als ich endlich aufgesammelt wurde, konnte man die Beine nicht mehr retten. Oder den Arm, obwohl ich mich in diesem Fall für eine gute Prothese entschieden habe.
Man hätte mir auch
Weitere Kostenlose Bücher