Waffenschwestern
wie man näht?«, fragte die Frau.
Hazel schüttelte den Kopf.
»Kannst ruhig auch reden«, sagte die Frau. »Solange du leise sprichst. Kein Gebrüll.«
»Ich … hab keine Ahnung, wie man näht«, sagte Hazel leise.
Ihr Ton war steif; es war so lange her, seit sie einen ganzen Satz gebildet hatte.
»Naja, du wirst es einfach lernen müssen. Du kannst nich' in so einer Aufmachung rumlaufen. Nicht in dieser Familie.«
Hazel nickte. Brandy zupfte an ihrer Hand.
»Hunger«, sagte sie.
Die Frau blickte auf die Kleinen hinab, mit einem
Gesichtsausdruck, den Hazel nicht deuten konnte. »Sin' das deine Kleinen?«, wollte die Frau wissen.
»Nein«, sagte Hazel.
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»Nein, Ma'am!«, wies die Frau sie scharf zurecht. »Haben deine Leute dir keine Manieren beigebracht? «
»Nein … Ma'am«, sagte Hazel.
»Naja, ich werde es ganz gewiss tun«, sagte die Frau. »Jetzt lass mich nachdenken. Ihr Kleinen passt in Mary-lous und Sallyanns Sachen, aber du, Girlie … und wir müssen auch einen Namen für dich finden.«
»Ich heiße Hazel«, sagte Hazel.
»Jetzt nicht mehr«, erwiderte die Frau. »Dein bisheriges Leben ist vorbei und damit auch dein bisheriger Name sinnlos.
Du wirst dich von den Werken des Teufels und seinem Namen abwenden. Du wirst einen gottesfürchtigen Namen erhalten.
Sobald wir den richtigen gefunden haben.«
In den nächsten Wochen gewöhnte sich Hazel an ein Leben, das so fremd war, verglichen mit ihrem bisherigen Leben, wie die Zeit auf dem Piratenschiff gewesen war. Sie schlief mit zehn weiteren Mädchen in einem Zimmer; sie standen alle kurz vor der Pubertät oder hatten sie gerade hinter sich, waren aber noch unverheiratet – und somit hieß das Zimmer die Jungfrauenlaube.
Es ging auf einen winzigen Hof hinaus, vom Hauptgarten
durch eine Mauer getrennt und überhaupt durch Mauern von allem anderen abgesperrt als ihrem Zimmer. Der zweite Zugang zum Zimmer war ein langer Flur, der zum Haupthaus führte und keine weiteren Türen aufwies.
»Damit wir sicher sind«, hatte ihr eines der anderen Mädchen am ersten Abend erklärt. Sie hatte Hazel dabei geholfen, ihr Bettzeug auf einem Holzbett auszubreiten und die Decke richtig glatt zu streichen. Alle diese Mädchen waren, wie Hazel herausfand, Töchter des Mannes, der sie hergebracht hatte …
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Töchter von vier Ehefrauen, auf die auch alle übrigen Kinder im Haus zurückgingen. Nur die Kinder der ersten Frau durften das große Zimmer betreten … und das auch nur, wenn der Mann sie zu sich rief. Wenn er die Übrigen sehen wollte, besuchten sie ihn im zweiten Salon.
»Ihr seid die ersten Ausländer in unserem Haushalt«, erzählte eines der anderen Mädchen.
»Niemand darf Ausländer haben, der nich' genug Kinder hat, um eure heidnischen Einflüsse zu verringern«, sagte ein weiteres Mädchen.
»Damit wir euch beibringen können, was richtig un' was
falsch ist«, sagte wieder ein anderes.
Es dauerte nicht lang, und Hazel steckte im gleichen engen langen Rock und langärmeligen Top wie die anderen. Sie lernte es, mit raschen Schritten zu schlurfen … sie lernte, wie sie sich auf den Fluren und in den Zimmern des großen Hauses
zurechtfand, das sich bis ins Unendliche auszubreiten schien.
Sie lernte es, respektvoll auszuweichen, wenn die Jungen durch den Flur rannten, und das Kinn anzuziehen, damit selbst die kleinen Jungen, wenn sie aufblickten, nicht ihrem Blick begegneten.
Einmal am Tag, sobald sie mit der Arbeit fertig war, durfte sie sich mit Brandy und Stassi zusammensetzen. Zu Anfang rannten die Kleinen, ohne ein Wort zu sagen, auf sie zu und weinten in ihre Schulter. Aber während die Tage dahingingen, passten sie sich an das Leben an, welches auch immer sie jetzt führten. Sie fragte sie danach, aber es fiel ihnen schwer, es ihr zu erzählen … und kein Wunder. Sie hatten noch kaum richtig sprechen gelernt, als das Schiff gekapert wurde, und zu viel war 272
seitdem passiert. Sie hatten Honigkuchen gegessen oder neue Kleider bekommen – das war alles, was sie ihr sagen konnten.
Wenigstens gab man ihnen zu essen und sorgte für sie, und sie hatten jeden Tag etwas Zeit, um im Garten zu spielen. Hazel sah sie mit den übrigen kleinen Mädchen zusammen, wie sie mit Gewichten beschwerte, grellbunte Luftschlangen hin und her warfen.
Hazel musste hart arbeiten – die anderen Mädchen ihres
Alters waren vollendete Näherinnen, die lange und gerade Nähte anfertigen konnten. Sie alle verstanden sich darauf, Stoff zu
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