Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
Wochenenden nach Hause fahren. Da braucht man nicht nur Büros, sondern auch Wohnhäuser.«
»Wie eine kleine Stadt.«
»In der du nur Tempo dreißig fahren darfst«, ergänzte Oda, offensichtlich als kleinen Hinweis darauf, dass Christine fast fünfzig fuhr.
»Die vor mir fährt so schnell.«
»Jaja, schon klar.«
»Warst du schon öfter hier?«
»Logisch. Als Alex kleiner war, sind wir jedes Jahr zum Tag der offenen Tür hergekommen. Alex war immer ganz begeistert. Ist ja auch was Besonderes für kleine Jungen. Und ich selbst war schon als Kind mal hier. Als das damals größte und teuerste Kriegsschiff der Welt, der US -Flugzeugträger ›Nimitz‹, nach Wilhelmshaven kam. Mann, ist das lange her. Ich glaub, das war 1978. Das war irre. Einige tausend Mann Besatzung und sogar ein Kino an Bord. Das hat mich schwer beeindruckt.«
Als sie auf die Pier fuhren, sahen sie mehrere Soldaten in beige gefleckten Tarnanzügen auf dem Rasen Kampfsportübungen machen. Sie versuchten mit angelegten Schutzwesten, einen mit einem Messer bewaffneten Mann abzuwehren.
»Ach«, sagte Christine, »ich wusste gar nicht, dass Marinesoldaten auch Kampfsport betreiben.«
»Tun sie ja auch nicht«, antwortete Oda lax.
»Ach nee. Und was ist das?«
»Das, meine Liebe, wird eine Übung der Marineschutzkräfte sein.«
»Der was bitte?«
»Das ist eine besondere Einheit. Die anderen machen natürlich auch viel Sport, aber eher Ausdauersport, damit sie unter erschwerten klimatischen Bedingungen und unter Schlafmangel lange und anhaltend leistungsfähig sind. Und natürlich muss jeder Besatzungsangehörige fit sein in Bezug auf die Brandabwehr, die Hauptbedrohung für ein Schiff.«
»Du kennst dich aber wirklich gut aus.«
»Na, wo Alex mit dem Gedanken spielt, nach dem Abi dieses Bundesfreiwilligenjahr oder wie das heißt bei der Marine zu absolvieren, hab ich mich natürlich mit allem auseinandergesetzt. Ich will schließlich wissen, was da eventuell auf mein Kind zukommt. Daher weiß ich, dass die meisten Soldaten vorwiegend Ausdauersport betreiben. Nur die Marineschutzkräfte und die, die sich privat dafür interessieren, machen Kampfsport.«
Der gelbe Twingo quetschte sich zwischen zwei dicht nebeneinander stehende Autos. Christine musste einige Meter weiterfahren, bevor auch sie eine Parklücke fand. Oberbootsmann Wegner lächelte, als sie nach dem Aussteigen Christines verwunderten Blick auf all die unterschiedlichen Kfz-Kennzeichen sah, und erklärte: »Die ›Jever‹ liegt derzeit zwar in Wilhelmshaven, aber ihre Besatzung kommt aus ganz Deutschland. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
Während Oda der Frau Oberbootsmann hinterherstiefelte, blieb Christine einen Moment stehen, um die Eindrücke in sich aufzunehmen. Da stand sie an einem feuchten Novembertag, der jedes Klischee von nasskaltem Herbst erfüllte, inmitten eines normalerweise abgeschirmten Bereichs der Marine und sah nur wenige Meter vor sich ein Kriegsschiff, das im Grau des frühen Tages kaum auszumachen war. Und gleich würde sie an Bord dieses Kriegsschiffes Gespräche führen. So etwas hätte sie zu ihren Hannoveraner Zeiten nie für möglich gehalten.
»Kommst du, oder geht das mit deinen Schuhen nicht?« Oda lachte sie übermütig von Bord des Schiffes an.
Christine schüttelte sich. Da hatte sie ihren Gedanken nachgehangen, während Oda und Oberbootsmann Wegner schon die Gangway hochgelaufen waren. Aber bestimmt nannte man das bei der Marine anders.
» Stelling sagen wir dazu«, erklärte die Frau Oberbootsmann auf Christines Frage hin, und Christine wunderte sich, dass es »Frau Oberbootsmann« hieß und nicht einfach »Oberbootsfrau«.
Oberbootsmann Wegner trug etwas in ein Buch bei der Wache ein. Dann sagte sie: »Folgen Sie mir, ich bringe Sie zum Kommandanten.«
Vom H-Deck, dem Helikopter-Deck, wie sie erklärte, über dem eine Deutschlandflagge mit Bundesadler wehte, liefen sie durch eine Art großer Halle, in der Paletten mit Kisten, Lebensmitteln und anderen Dingen gestapelt waren, die Christine so schnell nicht erkennen konnte. Die metallgrauen Wände hingen voller Schläuche, und es herrschte geschäftiges Treiben. Oberbootsmann Wegner öffnete eine schwere metallene Tür, sie folgten ihr in einen kleinen fensterlosen Raum, worauf die Soldatin die Schottverriegelung betätigte, die die schwere Metalltür verschloss.
»Auf dem Schiff haben wir einen Überdruck«, erklärte sie beiläufig, während sie an der gegenüberliegenden Tür
Weitere Kostenlose Bücher