Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
den Weg ins Schiffsinnere freigab. »Den brauchen wir, damit von außen keine schädlichen Wirkstoffe ins Innere dringen können. Im Ernstfall, etwa wenn chemische und biologische Kampfmittel eingesetzt werden, können wir diesen Angriffen mit dem Überdruck weitestgehend entgegenwirken. Im Frieden sichert er mit dem dazugehörigen Verschlusszustand die Funktionalität der Klimaanlagen. Und deshalb müssen wir hier durch die Schleuse.«
Christine staunte.
»So ein Kriegsschiff ist eine kleine Stadt für sich«, fuhr Oberbootsmann Wegner fort, während sie ihr durch schmale Flure und über steile Metallleitern folgten, die Niedergänge hießen, wie sie erklärte. »Im Einsatz steigt die Anzahl der Besatzungsmitglieder. Wir sind dann so zwischen zweihundertzehn und zweihundertdreißig Personen. Dazu kommen noch circa fünfundzwanzig Helikopterpiloten und Helikoptertechniker, circa dreißig Marinesicherer und Boarding-Truppen. Ach ja, und eine Handvoll Feldjäger, Rechtsberater, Fachärzte und Aufklärungsverantwortliche. Außerdem fährt quasi ein ganzer Baumarkt mit, denn wir müssen in jedem Fall für alles gerüstet sein. Von der fehlenden Glühbirne bis zum Motorersatzteil, denn wenn unsere Schiffe auf See und im Einsatz sind, können wir nicht einfach irgendwo einkaufen. Wir haben gut sechzigtausend Ersatzteile an Bord und können einundzwanzig Tage lang autark sein.«
Sie stiegen den letzten Niedergang hoch – was für ein Paradoxon, dachte Christine –, dann klopfte Oberbootsmann Wegner an eine Tür.
»Herein«, hörten sie eine männliche Stimme rufen. Oberbootsmann Wegner drückte die Klinke, setzte einen Fuß in den Raum und sagte: »In die Kammer, Herr Kapitän, Ihr Besuch.«
Kurz darauf hatte sie sich verabschiedet, und Oda und Christine saßen mit dem sichtlich erschütterten Fregattenkapitän an einem Tisch.
»Sie gehen von einem Verbrechen aus, wenn ich das richtig verstanden habe?«, fragte Kommandant Tieden.
»Es kann alles Mögliche sein, derzeit sieht es nach Totschlag aus.«
»Was kann ich tun, um Sie bei Ihren Ermittlungen zu unterstützen?«
»Wir möchten wissen, was Sie und die Kameraden, also alle, die mit Baumann zusammenarbeiteten, über ihn sagen können.«
»Und wie er hier an Bord gelebt hat, ob und, wenn ja, mit wem er eine Kammer teilte«, ergänzte Oda, »lauter solche Dinge. Denn der Job an Bord eines Schiffes schafft ja doch besondere kollegiale Beziehungen, vor allem im Laufe eines Einsatzes.«
Der Kommandant lächelte Oda an. »Sie scheinen sich ja auszukennen. Ist Ihr Mann auch bei der Marine?«
»Nö«, gab Oda vergnügt zurück, »aber ich bin hier geboren. Und in über vierzig Jahren kann man ja gar nicht anders, als ’ne Menge rund um die Marine mitzukriegen.«
»Jaja, das, was man sich gemeinhin erzählt, ohne wirklich Ahnung zu haben«, sagte Tieden mit leichtem Bedauern in der Stimme. »Ich glaube, Sie sollten ein wenig mehr darüber erfahren, wie es bei uns abläuft. Baumann war Decksoffizier. Ein Decksoffizier ist ein a-wertiger Offizier. Das heißt, dass er sich in seiner ersten Bordverwendung befindet und vor allem Schifffahren lernen soll. Normalerweise teilt sich jemand in seiner Position eine Doppelkammer mit einem anderen Offizier, aber in diesem Fall gab es eine Ausnahmesituation. Die Position des Zwo SVO * [* Schiffsversorgungsoffizier] ist leider nicht besetzt, sodass wir dessen Aufgaben auf andere Offiziere verteilen mussten. Einen Teil, das Personalgeschäft, hat Baumann übernommen und bekam deshalb eine eigene Kammer. Er hat sich bewährt.«
»Also würden Sie ihn als verantwortungsbewussten und zuverlässigen jungen Mann bezeichnen?«
»Auf jeden Fall. Er war ein ausnehmend leistungsfähiger und vor allem unglaublich ehrgeiziger Offizier. Denn den Aufgabenbereich des Personal- und Schriftoffiziers zusätzlich zu den Aufgaben eines DO zu bewältigen, ist verdammt viel.
»Dürfen wir uns seine Kammer einmal ansehen?«
»Selbstverständlich.«
* * *
Als Nieksteit aus der Personalküche kam, in jeder Hand einen Becher dampfenden Kaffees, läutete das Telefon auf seinem Schreibtisch.
»Soll ich?«, bot Lemke an und beugte sich schon rüber, aber Nieksteit schüttelte den Kopf.
»Lass mal.« Er stellte seinem Kollegen den Becher vor die Nase und griff zum Hörer. »Nieksteit.«
»Hier Manssen. Ist Oda da?«
»Nö.«
»Christine?«
»Nö.«
»Meine Güte, Nieksteit, sag doch gleich, dass die nicht da sind, und lass dir nicht alles aus
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