Wagner und Cordes 05 - Mord im Nebel
gesetzt.
Lutz blätterte die Seiten durch. Fabian in seiner ersten Uniform. Fabian mit Nora und dem Hund. Fabian auf dem Segelschiff von Freunden, bei einer der Mittwochs-Regatten im Nassauhafen. Lachend, gut gelaunt, ein Jever-Pils in der Hand. Lutz schluckte. Auch er war nicht so stark, wie er nach außen hin tat. In der letzten Zeit hatte es oft heftigen Streit mit Fabian gegeben, aber Streitereien gehörten doch dazu, wenn ein junger und ein alter Stier unter einem Dach lebten. Er blätterte weiter. Ein gut gelaunter Fabian nach dem anderen. Auf vielen Bildern hatte er Nora im Arm.
Nora. Es gab auch eine Menge Fotos, die Lutz mit Nora zeigten, denn Ute hatte ja ständig fotografiert. Wo es ihn früher gestört hatte – dass Ute jedes Essen, jede Blume, alles, was sie gerade bemerkenswert fand, im Bild festhielt –, weil es eine Zeitverzögerung bedeutete, eine Unterbrechung des Spazierganges oder der Radtour, war ihm Utes Fotografier-Wut in letzter Zeit willkommen gewesen. Vor allem, wenn sie gemeinsam mit Fabian und Nora unterwegs waren. Lutz hatte auf seinem PC einen eigenen Ordner für diese Bilder angelegt und mit einem Passwort versehen: »Nortz«. Die Verschmelzung zweier Namen. Vor seinem inneren Auge tauchten diese Bilder nun auf. Nora, wie sie ihn anstrahlte, Nora, mitten in der Bewegung fotografiert, als sie gerade von einer lustigen Begebenheit bei der Hundeschule berichtete. Das war seine Lieblingsaufnahme. Nora in hellblauer Bluse auf der Terrasse, im Hintergrund das Grün des Weinlaubes und der Fichten; sie strahlte und gestikulierte.
Es klingelte an der Tür. Überrascht warf er einen Blick auf die Uhr. Der Geistliche kam eine Viertelstunde zu früh. Aber der Kaffee war fertig, und Ute würde sicher auch nicht mehr lange brauchen.
Er lief durch den Flur zu Tür. Sein Herz begann heftiger zu schlagen, als er durch die Milchglasscheibe die Silhouette erkannte.
»Wenn man vom Teufel spricht …«, sagte er lächelnd, als er Nora die Tür öffnete.
»Stör ich?«, fragte sie unbehaglich.
»Im Gegenteil. Schön, dass du da bist. Komm rein, du wirst ja sonst patschnass.« Er fasste sie an den Schultern, küsste sie auf beide Wangen und half ihr aus der regennassen Daunenjacke.
»Ich hab gedacht, ich unterstütze Ute beim Gespräch mit dem Pastor, ich wusste nicht, dass du auch da bist. Also … ich kann ja auch wieder …« Nora machte eine unbeholfene Geste in Richtung Tür, aber Lutz zog sie mit sich.
»Was für ein Unsinn«, sagte er. »Geh durch, ich hole den Kaffee.« Mit immer noch klopfendem Herzen nahm er die Thermoskanne von der Maschine und trat ins Esszimmer. Nora stand vor der Kommode und betrachtete die Fotos. Ute hatte Fabians Porträtaufnahme an der linken oberen Ecke mit einem schwarzen Seidenband versehen. Lutz stellte die Kanne ab, trat hinter Nora und umfasste sie. Für einen Moment lehnte Nora sich gegen ihn.
»Es ist so unfassbar. Ich kann es immer noch nicht glauben.«
Lutz drehte sie zu sich um. Sah ihr tränennasses Gesicht. Zärtlich wischte er ihr mit dem Daumen die Tränen von der Wange. Wie gern hätte er sie fest in dem Arm genommen.
In diesem Moment klingelte es zum zweiten Mal.
* * *
Nicht mehr lange, Volker, dann ist dein Leben nicht mehr so, wie du es kennst. Wie du es geplant hast. Wie du es führen wolltest. Nicht mehr lange, dann haben sich die Vorzeichen verkehrt. Eene, meene, meck …
Hat man dir das Foto gezeigt? Ich muss lächeln bei dem Gedanken, dass du erleichtert gewesen sein musst. Und bei dem Gedanken, dass diese Erleichterung nicht lang andauern wird. Schon morgen gibt es ein neues Foto. Für dich. Und für die Polizei. Diesmal ist es nicht mehr ganz so verschwommen. Man erkennt etwas mehr. Und die Person im Vordergrund ist deutlicher zu sehen.
Es ist ein Puzzlespiel. Ich liebe Puzzlespiele. Es ist so spannend, zu sehen, wie die anderen reagieren, wenn man ein weiteres Puzzleteil hinzufügt. Wenn die einzelnen Bilder zu einem Ganzen werden. Ich möchte sehen, wie du reagierst, wenn du merkst, dass du in einer Falle sitzt, aus der es kein Entrinnen gibt. Wenn du realisierst, wie ernst es ist. Dass du der Spielball eines anderen bist.
Spürst du es schon?
Wie fühlt es sich an, ein Spielball zu sein?
Du brauchst es mir nicht zu sagen, ich weiß es auch so. Ohnmächtig fühlt es sich an. Hilflosigkeit ist furchtbar. Überall und in jedem wirst du mich suchen, fragend beobachten, ob sich etwas zeigt, was deine Vermutung bestätigt. Es macht
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