Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
vorbei. Ich fixierte die Tasche unter dem Tisch, Droch den ausgeschalteten Bildschirm seines PCs.
»Das ist alles kein Beweis«, sagte Droch.
»Ich weiß«, stöhnte ich. Dann schwiegen wir wieder. Ich hatte das irrationale Gefühl, dass der ganze Schrecken und die Schmerzen doch für etwas gut sein mussten. Aber wie konnte ich das Droch sagen? Ausgerechnet Droch …
»Wenn es eine geplante Aktion war, muss jemand sehr Dummes oder jemand, der sehr viel Angst hat, dahinterstecken.«
Ich nickte. Ich erzählte Droch alle Details, die ich bei meinem Besuch in dem Haus, in dem Bellini-Klein gelebt hatte, in Erfahrung gebracht hatte. Kaum Freunde, seit kurzem eine nächtliche Freundin.
»Rufen Sie diesen Nachbarn an, und fragen Sie ihn, wie die Frau ausgesehen hat.« Daran hatte ich auch schon gedacht. Ich hatte vorgehabt, am Nachmittag noch einmal hinzufahren.
Droch angelte nach meiner Tasche und gab sie mir. Ich zog den Block heraus, auf dem ich die Nummer von Madermichl notiert hatte. Madermichl war gerne bereit, Auskunft zu geben. »Es war eine mittelgroße Frau, so um die 30, würde ich sagen. Schlank. Meiner Meinung nach war sie eine Prostituierte, nicht schlecht angezogen, aber sie wirkte irgendwie billig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie hatte so einen herausfordernden Gang.«
»Haarfarbe?«
»Blond, sie war blond und hatte aufgesteckte Haare. Aber die wechseln andauernd ihre Haarfarbe, darauf würde ich nichts geben. Und sie trug Sonnenbrillen, dunkle Sonnenbrillen.«
Ob er sie wiedererkennen würde?
Natürlich würde er.
Ob sie an dem Tag, an dem Bellini-Klein aus dem Fenster gestürzt war, gekommen sei?
»Das war viel zu früh für sie, vor elf oder zwölf ist die nie aufgetaucht.«
»Ist sie an diesem Tag gekommen?«
»Nein. Sie hat ihn nicht täglich besucht. Nur alle paar Tage.«
»Sind Sie sicher?«
Madermichl klang beleidigt. Natürlich war er sich sicher.
»Nicht sehr ergiebig«, sagte ich und sah Droch erwartungsvoll an. Es war gut, Entscheidungen abschieben zu können. Vor allem heute.
An der Tür klopfte es. Drochs Sekretärin rief: »Droch, ist Mira Valensky bei Ihnen? Lassen Sie sie raus.« Wir sahen einander irritiert an. Drochs rechter Mundwinkel zog sich nach oben, meine Unterlippe begann zu zittern, und im gleichen Moment begannen wir laut zu lachen. Mir tat das zwar ziemlich weh, aber es erleichterte mich sehr. Droch schien ebenso zu empfinden. »Valensky hat eine Menge Anrufe, und die sind ziemlich dringend.« Uns war klar, dass die laute Stimme der Sekretärin nicht unbeachtet geblieben war. Ich stand auf, hielt mich möglichst gerade, lächelte Droch noch einmal zu und verließ das Zimmer. Die Kommentare waren so anzüglich wie harmlos. Ich marschierte an einer Reihe grinsender Kollegen vorbei und grinste auch. Ich fühlte mich schon viel besser.
Die Sekretärin gab mir eine Telefonliste. Der Bericht über Bellini-Kleins Tod war doch nicht sang- und klanglos untergegangen. 14 Menschen wollten mir dazu etwas sagen. Beschwerdeanrufe – insgesamt 26 – hatte die Sekretärin schon ausgesondert. Ganz oben auf der Liste und dick unterstrichen stand: »Valentin Wessely, Bündnis.« Ich setzte mich so, dass mein Kollege kaum mithören konnte, und begann zu telefonieren.
Ich erfuhr, dass Bellini-Klein vor drei Monaten aus einer Beratungsfirma geflogen war. Er hatte sich als Chef der Firma ausgegeben, eigenmächtig Verträge abgeschlossen und ohne Wissen der beiden Wirtschaftsberater selbst Beratungen durchgeführt. Die Firma hatte dadurch einige gute Kunden verloren, andere gerade noch halten können. »Er war größenwahnsinnig«, lautete das Urteil eines der beiden Wirtschaftsberater. Man habe ihn genommen, weil er ihnen beste Kontakte zur Hochfinanz vorgegaukelt hatte. Darin sei er sehr geschickt gewesen. Davor war Bellini-Klein aus einem Verlag, der ein Autojournal herausbrachte, geflogen, für den er Inserate keilen sollte. Wieder das gleiche Bild: Er hatte sich als Verwaltungschef ausgegeben und so einige nette Autos probegefahren. Als er mit einem Wagen einen Totalschaden gebaut hatte, war alles ans Licht gekommen. »Er glaubte an den Unsinn, den er erzählte«, meinte sein damaliger Kollege. »Abgesehen davon war er ein sehr netter Mensch. Gute Umgangsformen, sonniges Gemüt.«
Ein sonniger Typ. Es schien also mehr oder weniger zu stimmen, was mir Chloe Fischer über Bellini-Klein gesagt hatte. Einmal zu oft gescheitert, abgehoben von der Realität, Selbstmord.
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