Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
gekommen, als er sechs war. Und als im vergangenen Jahr auch noch sein Onkel starb …« Chloe Fischer legte eine kunstvolle Pause ein.
»Und ich kann darüber schreiben?«
»Von mir haben Sie es nicht erfahren.«
So viel zur Pietät. Dass Bellini-Klein ein gestörter Mensch gewesen war, hatte ich schon zuvor gewusst. Aber wenn sich alle Gestörten aus dem Fenster stürzen würden, wären gewisse Gegenden so gut wie ausgestorben. Vor allem Wahlkampfbüros, Parteizentralen, Redaktionen. Oder auch nicht. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive. Chloe Fischer lächelte sparsam. Ich stand auf.
Da läutete das Telefon. Chloe Fischer hob ab und warf mir einen Blick zu. Das Mitschneidegerät sprang an. »Ja, sie ist noch hier.« Pause. »Selbstverständlich ist sie gerne bei uns gesehen, bei uns herrscht Offenheit. Das ist Teil der neuen Politik unseres Kandidaten. Transparenz und Offenheit.« Chloe Fischer stockte. Zwischen ihren elegant gezupften Augenbrauen entstand eine senkrechte Falte. »Wir haben bereits besprochen, dass das unmöglich ist.« Die Stimme ihres Gesprächspartners wurde so laut, dass ich sie als die meines Chefredakteurs erkennen konnte. »Darum geht es nicht«, erwiderte Chloe Fischer. »Wir haben eine grundsätzliche Abmachung, dass es keine Konfrontationen zwischen unserem Kandidaten und Frau Mahler geben wird. Vogl diskutiert nicht mit Amateuren.« Und dann, deutlich schärfer: »Nein, das dürfen Sie nicht zitieren.« Danach war Chloe Fischer eine ganze Zeit lang ruhig und lauschte. Sie begann wieder, mit den Fingernägeln auf den Schreibtisch zu trommeln. Wenn sie so weitermachte, würde sie ihn bis zum Wahlabend durchgeklopft haben. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er seine Meinung ändert«, sagte sie schließlich. »Wenn ja …« – jetzt klang sie verunsichert –, »werde ich Sie es rechtzeitig wissen lassen.«
Chloe Fischer sah mich an. Ich sah Chloe Fischer an. Sie seufzte und spulte das Gerät zurück. »Damit Sie voll im Bilde sind«, sagte sie und drückte auf den Startknopf. Jetzt konnte ich hören, was mein Chefredakteur gesagt hatte. »Der zuständige Redakteur hat Sie bereits zweimal kontaktiert. Wir warten auf eine Antwort. Es geht um eine Konfrontation zwischen Herrn Doktor Vogl und Frau Mahler.«
»Wir haben bereits besprochen, dass das unmöglich ist.«
»Unmöglich ist es nicht. Anscheinend fürchtet sich Ihr Kandidat vor seiner Herausforderin.«
»Darum geht es nicht«, erwiderte Chloe Fischer. »Wir haben eine grundsätzliche Abmachung, dass es keine Konfrontationen zwischen unserem Kandidaten und Frau Mahler geben wird. Vogl diskutiert nicht mit Amateuren.«
»Darf ich das zitieren?«
»Nein, das dürfen Sie nicht zitieren.«
»Wenn Sie mir nicht bis morgen, elf Uhr bestätigen, dass es klappt, werde ich nichts dagegen unternehmen können, dass sich im Unterbewusstsein meiner Redakteure etwas verändert und sich das dann auf die Berichterstattung auswirkt. Da kann ich nichts dagegen tun. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden?«
Chloe Fischer stoppte das Band. Mir war die Drohung peinlich.
Klar verweigerte Vogl eine Diskussion mit Mahler, weil er sich fürchtete. Mahler würde ihn freundlich auseinandernehmen. Und wenn er sie hart anfasste, würde er erst recht als Verlierer aussteigen. Die Leute mochten es nicht, wenn man Frauen unhöflich kam. Und schon gar nicht, wenn es sich um angesehene Autorinnen, Naziopfer und Menschenrechtsaktivistinnen über 60 handelte. Mahler war diskussionsgeschult. Vogl war zwar ein guter Darsteller, aber ein Alleindarsteller.
»Also entweder stimmen wir – entgegen allen Abmachungen – einer überflüssigen Konfrontation zu, oder Sie werden gar nicht anders können, als Gift zu spritzen. Fein haben Sie sich das ausgedacht. Zuerst teilt Droch mir mit, dass Sie sich weiter um das Menschliche im Wahlkampf kümmern werden, dann lassen Sie sich von mir das offizielle Okay geben, und schließlich kommt Ihr Chefredakteur mit seiner Drohung.«
Ich schüttelte den Kopf.
Chloe Fischer ließ das Band aus dem Mitschneidegerät springen und gab es in eine Schreibtischlade. »Wir lassen uns nicht einschüchtern.« Sie machte die Schreibtischlade mit einem Knall zu.
Ich hasste solche Szenen. Was hätte ich sagen sollen? Dass ich nichts Böses schreiben würde? Das würde ganz von dem abhängen, was ich herausfand. Aber ab jetzt würde jeder kritische Ton als Racheakt gewertet werden. Dank meines Chefredakteurs.
Wir fuhren zur
Weitere Kostenlose Bücher