Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
dieser Boxer heißt.«
Hans Orsolics war Ende der sechziger Jahre zweimal Profi-Europameister gewesen, danach aber sehr schnell im Eck gelandet. Ich hatte ihn vor einigen Jahren bei einem seiner Comeback-Versuche gesehen. Er war Gastwirt geworden, und eine Schar von Promis hatte seinen Sekt getrunken und sich damit gebrüstet, dem alten Boxer wieder auf die Füße zu helfen. Lange hatte es das Lokal nicht gegeben. Orsolics, der PR-Chef, hatte bisher jede Verwandtschaft mit Orsolics, dem Ex-boxer, bestritten.
»Aber andererseits wäre dann wohl Orsolics blau und grün im Gesicht und nicht Sie, liebe Mira. Sie sehen nicht nur stark aus … im übertragenen Sinn.«
»Meine blauen Flecken sind ganz real.«
»Da haben Sie recht.«
Ich widmete mich der Speisekarte. Je schneller ich bestellte, desto schneller würde ich wieder draußen sein. Gebackene Leber? Oder besser Ziegenkäse auf Blattsalat?
»Sie sind dynamisch. Und das brauchen wir.«
Ich klappte die Speisekarte zu. »Wer wir? Ihr Bündnis? Ich bin nicht bei Ihrem Bündnis, und ich werde auch nicht für Ihr Bündnis arbeiten.«
Wessely war irritiert und wechselte das Thema. Wir sprachen über Lieblingslokale und kamen da schon eher auf einen gemeinsamen Nenner. Wir entdeckten, dass wir beide in Wien Jus studiert hatten, und das bloß um zwei Jahre zeitversetzt.
»Sie wären mir aufgefallen, auch vor 18 oder 20 Jahren, da bin ich mir sicher. Sie haben wirklich Jus studiert?«
»Ich habe sogar meinen Doktor gemacht«, erzählte ich. Ich konnte mich an meine Zeit als Juristin schon kaum noch erinnern. Und den Doktortitel verwendete ich schon lange nicht mehr.
Toll, fand Wessely, der vor dem Namen immer »Mag.« stehen hatte. Wahrscheinlich hatte er Autoritätsprobleme.
Ich aß meine gebackene Leber, vorsichtig, wie es die geschwollene Zunge und die aufgeplatzte Lippe verlangten. Aber ich spürte, dass der Appetit wiederkam. Dabei war die Leber gar nicht so gut. Wenn ich da an das Gasthaus Sommer im Weinviertel dachte …
Der Abend plätscherte dahin, der Gastgarten war gesteckt voll. Es gibt in Wien nicht mehr viele Gastgärten mit alten Kastanienbäumen. Parkplätze bringen mehr Geld.
Einfach den Tag ausklingen lassen. Wessely ließ das dumme Geschwätz von starken Frauen, und wir entdeckten noch andere Gemeinsamkeiten. Wir sahen gerne alte Hollywood-Komödien. Und wir liebten italienisches Essen. Und New York. Ich dachte zurück. New York, italienisches Essen. Mit Unterbrechungen hatte ich drei Jahre in Manhattan gelebt. Mit ein Grund, warum es bei mir nie zu einem fixen Dienstvertrag als Journalistin gereicht hatte. »Ciao Bella«, das Lokal in der Upper Eastside, und Giorgio. Eine schöne Sache, jetzt im nachhinein. Giorgio hatte mir viel über gutes Essen beigebracht, und ich hatte mich um die Werbung für sein Lokal gekümmert. Viel Glas und Chrom, keine Pizzeria, sondern ein Restaurant mit süditalienischer Küche vom Feinsten. Es war vorbei. Und das war auch gut so. Irritiert nahm ich wahr, dass ich Wessely gegenübersaß. Er erzählte über irgendwelche politischen Pläne und hatte offenbar nicht bemerkt, dass ich mit meinen Gedanken ganz woanders war. Wessely mit seinem faden braunen Haar, seinem Durchschnittsgesicht ohne eine Kante und seinem viel zu knalligen T-Shirt. »We are coming!«, stand in Pink auf Rot auf seiner Brust. Was immer das bedeuten sollte. Droch hatte ein ausdrucksstarkes Gesicht. Er konnte einem in die Augen sehen. Es reichte, wenn er einen Mundwinkel spöttisch verzog. Wessely versuchte lebhaft sein ganzes Gesicht in Bewegung zu halten, und trotzdem tat sich nichts.
Es wäre besser, wenn ich meine Ansprüche in puncto Männer auf ein realistisches Maß reduzierte. Manchmal wäre es schön und auch praktisch, einen Gefährten zu haben. Mit Wessely würde es nichts werden. Und außerdem würde sich diese Stimmung wieder legen. Ich lebte gerne allein. Eigentlich. Und im Endeffekt war es auch bequemer – ich hatte aus der Vergangenheit gelernt.
Als ich mich von Wessely verabschiedete, war es erst kurz nach zehn. Ich nahm, wie versprochen, ein Taxi, stieg langsam die Treppen zu meiner Wohnung hinauf. Ich konnte mir kaum noch vorstellen, wie ich sie mir gestern Stufe um Stufe erkämpft hatte. Auf diesem Stiegenabsatz war ich gestürzt. Ein massives, dreckiges Bündel, hilflos. Hatte ich geweint? Mir kam es nun vor, als wäre mein Gesicht nass gewesen. Ich ging weiter. Die Verletzungen waren halb so arg, wie sie sich gestern
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