Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
amerikanische Außenministerin … Aber vor dem Treffen ist er ja zum Glück gestorben. Ich sage immer: Frauen müssen sich wehren, und das sofort. Weil später jammern nützt nichts. Dann war es ihnen offenbar gar nicht so unangenehm …«
Ich hatte keine Lust, mit ihm zu streiten, schon lange nicht mehr. »Papa«, sagte ich beschwichtigend, »Vogl.«
»Also, was ich damit sagen wollte … So wichtig ein gutes Familienleben im Wahlkampf ist, eine tote Frau ist eine gute Frau … Entschuldige. Und natürlich Zurückhaltung.« Interessante Aspekte seines Weltbildes kamen da zutage.
»Seine Tochter spielt die Rolle der Gastgeberin gut. Und dass er keine Frau hat, regt die Fantasie vieler allein lebender Frauen und vieler Frauen mit Töchtern im längst heiratsfähigen Alter an. Allerdings …«
»Allerdings?«, fragte ich.
»Allerdings finden seine Berater inzwischen, dass er Frauen gegenüber fast zu distanziert auftritt. Ein kleines Gerücht, noch dazu bei einem Witwer in den Fünfzigern, hat noch nie jemandem geschadet. Immerhin muss ein Politiker Potenz ausstrahlen, politische Potenz, damit du mich richtig verstehst.«
»Vielleicht ist er schwul«, meinte ich.
»Nein.«
»Nein?«
»Das wüssten wir.« Mein Vater kam wieder auf Vogls politische Stärken und Schwächen zurück.
Ich notierte nur ein paar Stichworte und vergaß den Rest sofort wieder.
Vogl sei schlau. Nicht besonders intelligent. Machtbewusst. Medienerfahren. Er habe ein phänomenales Gedächtnis, sei distanziert charmant, wirke glaubwürdig. Katholisch. Um katholisch malte ich ein paar Kringel. War katholisch eine politische Stärke oder eine Schwäche? Eine Stärke, meinte mein Vater. Auf die Frage, ob Vogl fähig sei, ein Verbrechen zu begehen, antwortete mein Vater, ohne eine Sekunde zu zögern: »Das hat er schon oft getan. Politische Verbrechen. Und moralische.«
»Und strafrechtliche?«
»Woran denkst du?«, fragte mein Vater. Da er meine Frage nicht mit dem Tod von Bellini-Klein zu verbinden schien, wollte ich es dabei belassen. Von dem Zwischenfall mit den Schlägern erzählte ich ihm nichts. So nahe standen wir einander nicht. »Grüß Mutti von mir.«
»Servus, Maria.«
Mein Vater hatte nie aufgehört, mich Maria zu nennen. Maria war der Name, mit dem ich als Kind gerufen wurde. Irgendwann einmal hatte ich in meiner Taufurkunde nachgesehen, und da stand Mira. Ein Versehen, hatten meine Eltern gesagt, der Pfarrer sei nicht mehr so gut beisammen gewesen. Ein Versehen? Ich hatte mir damals mit meinen 12, 13 Jahren alle möglichen romantischen Geschichten ausgedacht, warum das kein Versehen war. War ich adoptiert worden, und war dieser Name der letzte Wunsch einer verzweifelten Schauspielerin (Prinzessin war mir zu abgeschmackt) gewesen? Waren meine Eltern früher ganz anders gewesen, und hatten sie mich – ein Mirakel, ein Wunder im Sinn – Mira genannt? Ich war allerdings dahintergekommen, dass auch hier die einfachste Erklärung die richtige war: Der Pfarrer hatte sich verschrieben. Er war über 80 und dem Alkohol nicht abgeneigt gewesen. Und meinen Eltern – was meinen Vater wohl noch lange geärgert hat – war der Fehler nicht aufgefallen. Jedenfalls habe ich mich seit dieser Entdeckung Mira genannt. Ich bin dem Pfarrer noch heute dankbar.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Vesna Krajner gekommen war. Ich wusste, dass ich ihr nicht so leicht etwas vormachen konnte. Das Jochbein leuchtete heute grün und blau. Vesna sah mir aufmerksam ins Gesicht und sagte: »Schlägerei.« Ich schwieg.
»Mein Mann einmal hat auch so ausgesehen. Mein richtiger.« Ihr richtiger Mann war tot. »Was war?«, fragte Vesna und setzte sich zu mir an den Tisch. Ich erzählte ihr alles, und es schien mir, als hätte ich die Geschichte schon zu häufig erzählt, zu häufig durchgedacht. Sie wurde langsam unwirklich. Vesnas Kommentar: »Natürlich kann es politisch sein.« Gut, sie war aus Bosnien, sie hatte andere Verhältnisse erlebt.
»Es waren Wahlen, es ist schon Jahre her. Unser Chef wollte wieder Bürgermeister werden. Aber die anderen wollten einen anderen. Dann ist einer gestorben. Erschossen. Seine Frau man hat eingesperrt, weil da eine Freundin war und sie es gewusst hat. Rache. Das haben alle erzählt. Aber die Wirklichkeit war anders. Der Mörder war ein Freund von einem Freund vom Chef im Dorf. Und der Tote war ein Spion der anderen. Und auch Überfälle hat es gegeben. Und Drohungen. Der Chef ist es wieder geworden bei den Wahlen.
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