Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
bringen etwas, auch uns. Auch wenn Sie die Sache mit den Arbeitslosen noch nicht ganz verstanden haben. Sie sind nämlich sozialversichert, und das zahlt das Wahlbüro. Und das spart den staatlichen Arbeitslosenbudgets Geld, und den Arbeitslosen gibt es Chancen auf einen neuen Job. Synergieeffekte, Synergieeffekte nutzen.«
Ich sah ihn an. »Diesmal mache ich etwas ganz anderes. Die Politik der Bilder. Symbolik im Wahlkampf.« Klang gut, war mir gerade eingefallen. Offenbar wurde ich übermütig.
»Aha«, sagte Orsolics, »machen Sie nur so weiter.« Dann ging er. Und das sollte ein Mörder sein?
Ich hatte mich für die Empfehlung vom Tag entschieden. Hummerschaumsüppchen, Kalbsmedaillons an Morchelrahmsauce und dreierlei Schokomousse mit frischen Früchten. Mein Gesprächspartner gab sich damit nicht zufrieden. Er runzelte die Stirn und wählte nach dem Studium der Karte Jakobsmuschelsalat und gegrillten Angler mit Zitronenkraut. Auf ein Dessert wollte er verzichten.
Wir saßen in einer Nische eines berühmten Hotelrestaurants. Es war Mittag, und man war unter sich. Geschäftsleute, die sich diskret zunickten. Bankiers, einige Politiker, hie und da reiche Ehepaare aus der Provinz, die in die Hauptstadt gekommen waren, um einzukaufen.
Bei der Vorspeise sprachen wir über das erstaunlich warme Wetter und die sinkenden Börsenkurse. Auf dieser Ebene konnte ich auch bei letzteren locker mithalten. Sätze wie »Man weiß eben nie, was an der Wallstreet noch passiert« oder »Der japanische Markt scheint mir reichlich instabil zu sein« gingen mir wie selbstverständlich von den Lippen. Ich hatte meinen Spaß dabei. Bei der Hauptspeise erzählte mein Gegenüber rührende Details aus Vogls Wahlkampf. Nichts, was ich nicht schon von Vogl selbst oder von Orsolics oder vom Pressesprecher gehört hätte. Die Geschichte von der alten Frau im Lodenmantel, die eigens, um dem Kandidaten Rosen zu schenken, 400 Kilometer mit dem Zug angereist sei. Ob er ihr bei irgendetwas helfen könne, habe Vogl sie gefragt. Nein, sie sei zufrieden. Nur sehen habe sie ihn einmal wollen und ihm die Rosen geben. Solche Menschen stützten das Land, nicht die ständig Unzufriedenen, die alle ihre Probleme auf den Staat schoben. Sicher habe diese Frau auch Probleme – wer habe die nicht –, aber sie schiebe sie nicht auf den Staat und die Politiker, sondern löse sie selbst. 400 Kilometer sei sie seinetwegen gefahren, zweiter Klasse, verstehe sich. Sie habe nur eine Mindestpension. Der Mann im dreiteiligen Anzug blickte mich gerührt an. Sein Anzug hatte mit Sicherheit das Dreifache ihrer Mindestpension gekostet.
Ich hatte schon besser gegessen. Viel Aufwand, viel Renommee und Werbung, wenig Geschmack. Mir gelang Hummersuppe besser. Und die Kalbsmedaillons waren totgebraten. Jetzt waren wir bei der Politik angelangt. »Bei aller Notwendigkeit, ein zu ausgeprägter Sozialstaat nimmt den Leuten die Eigeninitiative«, sagte mein Visavis. »Sie wissen – und das wird sich niemals ändern –: Vogl bekennt sich voll zur sozialen Verantwortung des Staates. Aber gerade deshalb müssen wir darauf achten, dass wir nicht des Guten zu viel tun.«
Ein formvollendeter Ober schenkte uns Chablis nach. Mein Gesprächspartner bat um etwas Leitungswasser. »Ich liebe das Wiener Hochquellwasser!«, rief er aus. Die Menschen an den Tischen rundum konnten es hören.
Eigentlich war es in dem Restaurant für Mittagessen zu dunkel. Man begann der Zeit zu entschweben. Gedämpftes Klappern von Besteck, kaum Gerüche von Speisen, leise murmelnde Stimmen. Das Gespräch führte über die Unzulänglichkeiten der UNO zur nötigen Pensionsreform. Mein Gegenüber war der Direktor der größten Versicherung im Land. Einen erfahrenen und verantwortungsbewussten Präsidenten brauche das Land, deswegen müsse er ihn schon im Interesse seiner Versicherung unterstützen, betonte er. Einen, der soziales Engagement verteidigen und Eigeninitiative fördern würde, wie das auch seine Position zum nötigen neuen Pensionsversicherungsgesetz zeige. Privatversicherung, das sei die Sicherheit der Zukunft. Von einem neuen Pensionsversicherungsgesetz wusste ich nichts. Ich nickte und aß meine Schokomousse. Die Nachspeise war ganz passabel. Wie viel die Versicherung wohl für Vogls Wahlkampf gezahlt hatte? Konnte man das einfach so fragen?
»Wie viel zahlen Sie für Vogls Wahlkampf?«
Der Versicherungsdirektor schüttelte lächelnd den Kopf. »Er ist uns viel wert, ein wertvoller Mensch.
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