Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
Da geht es nicht in erster Linie ums Geld.«
»Und in zweiter Linie?«
Er schüttelte den Kopf. Ich kratzte den letzten Rest der Mousse vom Teller. Warum er mit mir hatte Essen gehen wollen, blieb mir unklar. Smalltalk mit einer nicht eben wichtigen Redakteurin. Als Mann war er an mir ebensowenig interessiert wie ich als Frau an ihm. Er bestellte einen Mokka und ich einen Grappa. Wahrscheinlich hatte er zu viel Zeit. Anscheinend gehörte das eben dazu: 13 Uhr bis 14.30 Uhr Mittagessen mit … Jedenfalls auf Spesen. Morgen treffe er mit einer japanischen Delegation zusammen, wahrscheinlich werde er zum Mittagessen wieder hier sein. »Es gibt so wenige angenehme Lokale in Wien, dass einem diese wenigen manchmal schon etwas langweilig werden.« Die Hummerschaumsuppe habe erst letzte Woche auf dem Menüplan gestanden. Ich schüttelte empört den Kopf. Er zahlte mit seiner Firmenkarte.
Josi hatte sich das Gel längst aus den Haaren gerubbelt, die jetzt wilder denn je in Büscheln von ihrem Kopf abstanden. Sie hatte die Dateien auf Drochs Computer überspielt, die Zugangshürden gelöscht, hatte sich für den Spaß bedankt und war gegangen. Droch sah ihr nach. »Ein eigenartiges Mädchen.«
»Warum eigenartig?«, fragte ich.
»Gescheit, wahrscheinlich sogar ganz hübsch, wenn sie sich herrichtet. Und was macht sie? Arbeitet für ein Computer-Anarcho-Blatt, keine Anstellung, keine Planung, sicher kein Geld.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Ich lasse mich nicht provozieren.«
»Ich meine es ernst. Was bringt ihr das?«
»Spaß?«
»Spaß, was soll das für ein Spaß sein?«
»Unabhängigkeit.«
»Sie könnte etwas Vernünftiges tun. Von mir aus auch etwas Umstürzlerisches. Aber sie tut gar nichts.«
»Für uns hat sie einiges getan.«
»Aus Spaß. Wegen des Kicks.«
»Sie hat es getan. Oder ist Ihnen die Hummerschaumsüppchenwelt lieber?«
»Ich dachte, Sie machen sich etwas aus gutem Essen?«
»Da geht es nicht ums Essen, sondern um Weltanschauung.«
Droch schüttelte den Kopf.
»Also, gehen wir’s an«, sagte ich und zeigte auf den Computer.
Nach einigen Stunden tränten uns beiden die Augen. Gefunden hatten wir wenig. Die Textdateien bargen Referate zu fast jedem Thema. Es gab mehr als 50 schriftliche Interviews mit Fragen, die vom neuen Weltraumprojekt der NASA über mögliche finanzielle Hilfe beim Erwerb eines Zahnersatzes bis hin zu Vogls Position in der Sache Freiheit für Tibet reichten. Arme Mitarbeiter. Die Korrespondenz war harmlos. Auch die Korrespondenz des Stabes ergab – obwohl ursprünglich codiert – keinerlei Verdachtsmomente. Viele Worte. Dankesschreiben an Sponsoren, Schreiben über geplante Veranstaltungen, Ausschreibungen, Glückwünsche.
Bei Durchsicht der Datei über das Privatleben von Georg Schmidt stellte sich heraus, dass die Schreibkraft die Wahrheit gesagt hatte. Das Dokument war 15 Tage vor Schmidts Tod von der Schreibkraft angelegt und danach zweimal überarbeitet worden. Chloe Fischer hatte es siebenmal eingesehen. Nichts Neues also, aber immerhin eine Bestätigung.
»Ohne Beweiskraft vor Gericht«, meinte Droch. Als ob ich das nicht gewusst hätte.
Drochs Frau brachte uns Brötchen mit Radieschen und Paprika. »Ich will nicht stören«, sagte sie und ging wieder. Mir war ihre Unterwürfigkeit peinlich. Ich sah Droch an, Droch schien nichts bemerkt zu haben und öffnete die nächste Datei.
Die elektronische Post offenbarte, wie viele Verrückte es in Österreich gab. Gut ein Drittel der Mails handelte von Hinweisen auf Außerirdische, gab Ratschläge zur Errichtung eines idealen Staates oder deutete auf persönlichen Verfolgungswahn hin und denunzierte angeblich kriminelle Mitbürger. Der Rest waren Anfragen, sehr viele Glückwunschschreiben zur Kandidatur, sechs Mails bezogen sich auf den Mord an Schmidt, zwei auf den Tod von Bellini-Klein. Die beiden Statements zu Bellini-Klein kannte ich, dieselben Menschen hatten mich nach meiner Story angerufen. Beim Mord an Schmidt wollten drei den Mörder (jeweils einen anderen) kennen, eine Frau wollte für Schmidt und für Vogl beten, eine Sex-Homepage bot ihre Dienste an, die Initiative für die Rechte der Prostituierten bat Vogl um seine Position, und einer erkundigte sich, wo es Messer wie das, mit dem Schmidt erstochen worden war, zu kaufen gab.
Die Enttäuschung stand mir ins Gesicht geschrieben. Droch zog sich wieder einmal mit Spott aus der Affäre. »Möchten Sie der Präsident all dieser Leute sein? Vogl schon.
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