Wahlkampf: Ein Mira-Valensky-Krimi
Woche durchschlafen.
Ich sah mich nicht um, ob mir jemand folgte. Ich duschte, zog mich um, nahm zwei Schluck Whiskey aus der Flasche, fütterte Gismo und verschloss die Tür hinter mir. Ich sperrte noch einmal auf, füllte ein leeres Fläschchen mit Whiskey und steckte es in meine Tasche. Wenn das vorbei war, würde ich nicht nur eine Woche durchschlafen, sondern auch einige Wochen keinen Tropfen Alkohol anrühren. Versprochen.
Kurz nach zehn trudelte ich in der Redaktion ein – wie üblich. Nur dass ich jedes Zeitgefühl verloren hatte.
In meinem Zimmer erwartete mich der Chefredakteur. »Wo waren Sie?«, fragte er.
Ich sah ihn verwundert an. »Zu Hause.«
»Höchste Zeit, dass Sie da sind. Wir haben da etwas. Kommen Sie.«
War unser nächtliches Manöver aufgefallen? Auch recht, dann war es wenigstens vorbei. Ich folgte ihm in sein Zimmer. Droch saß schon da und noch zwei andere Redakteure, ein Gerichtsberichterstatter und der Chronikchef. Ich schluckte. Der Chefredakteur hielt mir mit spitzen Fingern ein Blatt in einer Klarsichthülle hin. Ich musste mich konzentrieren, um die ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben lesen zu können. Dabei waren die Buchstaben wirklich groß genug.
»Mord an Bellini-Klein. Fragt Fischer und Orsolics. Zwei Gläser ohne Fingerabdrücke. Ein Freund.«
Der Brief war heute eingelangt. Die Sekretärin, die darauf bestand, als Chefsekretärin bezeichnet zu werden, hatte ihn aufgemacht und wegen der Fingerabdrücke sofort in eine Klarsichthülle geschoben. Tüchtig. Sah viel fern. Ich sah Droch an. Jemand außer uns und der Polizei wusste also von den beiden abgewischten Gläsern. Der Mörder auf jeden Fall.
»Der Brief ist aber spät gekommen«, sagte ich. Vielleicht waren jemandem die Ermittlungen zu schnell eingeschlafen. Hofer, Vogls politischem Todfeind. Aber wie passte das zur Schießerei?
»Wir haben Fotos davon gemacht. Das wird sich in der nächsten Ausgabe gut machen. Das ist schon eine Story. Was können Sie dazu liefern, Frau Valensky?«
Ich zuckte die Schultern. Jetzt galt es zwischen dem zu unterscheiden, was ich sagen durfte, und dem, was ich verschweigen musste. »Ich könnte etwas genauer beschreiben, wie die Wohnung ausgesehen hat, nachdem Bellini-Klein sie durch das Fenster verlassen hat. Und ich kann vorsichtig einen neuen Zusammenhang herstellen: Hofer hat in der Steiermark zu Vogl gesagt, dass er mit zwei Toten im Gepäck wohl viel Kraft brauchen werde.«
»Das ist vorgestern schon über die Agenturen gekommen, gestern stand es in allen Zeitungen. Lesen Sie keine Zeitungen?«
»In den TV-Nachrichten wurde es nur mit einem Halbsatz erwähnt. Und: Hofer betrachtet Vogl als seinen Feind. Es könnte sein, dass er nicht will, dass die Ermittlungen einschlafen.«
»Und woher sollte er das mit den Gläsern wissen?«
»Wenn er es selbst war und das Wahlbüro in Misskredit bringen will?«
»Schwachsinn. Aber gut, das mit den zwei Toten im Gepäck können wir hineinnehmen, was meinen Sie, Droch?«
Droch nickte. Er hatte tiefe Furchen unter den Augen.
»Die Polizei wird den anonymen Brief bald abholen«, verkündete der Chefredakteur. »Wir haben sie selbstverständlich benachrichtigt. Ich werde ihn übergeben. Unser Fotograf wartet schon.«
Droch und ich sahen einander an.
»Ich werde ihn kopieren, damit ich den Wortlaut nicht in der Fotoredaktion heraussuchen muss«, murmelte ich, nahm den Brief und ging ins Vorzimmer. Ich war zum Umfallen müde. Vielleicht würde ich später besser denken und irgendetwas mit dem Brief anfangen können. Ich legte ihn in den Kopierer. Ich musste wirklich schon sehr hinüber sein. Ich hatte die Rückseite kopiert. Verdammt. Ich drehte den Brief um und drückte auf die Starttaste. Dann nahm ich die Blätter und gab dem Chefredakteur das Original zurück.
»Und dass Sie dabei sind, wenn ich den Brief der Polizei aushändige.«
Er wollte also in meinem Artikel vorkommen: Verantwortungsbewusst übergibt Chefredakteur anonymen Brief. Polizei dankt herzlich für gute Zusammenarbeit. Warum war ich nicht schlafen gegangen?
»Es handelt sich um Schwarzgeld«, sagte Droch in seinem Büro.
»Das ist mir auch klar«, erwiderte ich. »Ich frage mich nur, zu welchem Zweck? Wer war der Typ mit den genagelten Schuhen? Ein Berufskiller?«
»Du siehst zu viele schlechte Filme.«
»Er hätte mit dem Geld bezahlt werden können.«
Droch seufzte. »Mit dieser Menge Geld kann man fast alles tun.«
»Aber warum taucht der anonyme Brief
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