Wahn - Duma Key
»Tessie und Laura Eastlake. Der Bibliothekar hat mir eine Fotokopie einer Tageszeitung aus Tampa vom 19. April 1929 geschickt. Die Schlagzeile auf der ersten Seite ist sehr krass, sehr düster, sehr frostig. Nur drei Wörter: SIE SIND FORT.«
»Mein Gott«, sagte ich.
»Sechs Jahre alt. Elizabeth war damals vier, alt genug, um zu verstehen, was passiert war.Vielleicht sogar alt genug, um eine einfache Schlagzeile wie SIE SIND FORT lesen zu können. Die Zwillinge tot, und Adriana, die Älteste, mit einem seiner Betriebsleiter nach Atlanta durchgebrannt … kein Wunder, dass John von Duma vorerst genug hatte. Also ist er mit seinen verbliebenen drei Töchtern nach Miami gezogen. Viele Jahre später ist er zum Sterben zurückgekehrt, und Miss Eastlake hat ihn betreut.« Wireman zuckte mit den Schultern. »Nicht viel anders, als ich sie betreue. Also … verstehst du jetzt, wieso eine alte Lady mit beginnendem Alzheimer diese Insel für einen Unglücksort für Töchter halten könnte?«
»Ich denke schon, aber wie kommt eine alte Lady mit beginnendem Alzheimer an die Telefonnummer ihres neuen Mieters?«
Wireman warf mir einen listigen Blick zu. »Neuer Mieter, alte Nummer, Nummernspeicher in allen Telefonen im Haus.« Er wies mit dem Daumen über seine Schulter. »Noch Fragen?«
Ich starrte ihn an. »Sie hat mich gespeichert? «
»Ich kann nichts dafür; zu dieser Filmvorführung bin ich erst später gekommen. Wahrscheinlich hat der Immobilienmakler, der die Häuser verwaltet, alle ihre Telefonnummern eingegeben. Oder vielleicht Miss Eastlakes Vermögensverwalter. Er kommt ungefähr alle sechs Wochen aus St. Petersburg runter, um sich davon zu überzeugen, dass sie noch lebt und ich nicht das Spode-Porzellan klaue. Ich werde ihn fragen, wenn er das nächste Mal aufkreuzt.«
»Sie kann also jedes Haus am Nordende der Insel mit einem Knopfdruck erreichen.«
»Nun … ja. Ich meine, sie gehören ihr alle.« Er tätschelte meine Hand. »Aber weißt du was, muchacho? Ich glaube, dein Knopf wird heute Abend einen kleinen Nervenzusammenbruch erleiden.«
»Nein«, sagte ich, ohne auch nur darüber nachzudenken. »Mach das nicht.«
»Ah«, sagte Wireman, als verstehe er genau.Vielleicht tat er das wirklich. »Jedenfalls erklärt das den geheimnisvollen Anruf bei dir - obwohl ich dich warnen muss, dass Erklärungen auf Duma Key oft sehr dünn werden.Wie auch deine Geschichte beweist.«
»Wie meinst du das? Hast du einschlägige... Erfahrungen gemacht?«
Er sah mir in die Augen, sein breites sonnengebräuntes Gesicht unergründlich. Der kalte Spätjanuarwind frischte auf und blies Sand um unsere Knöchel. Er hob auch wieder Wiremans Haare an und ließ die runde Narbe über der rechten Schläfe sehen. Ich fragte mich, ob ihn dort jemand mit dem Hals einer Flasche getroffen hatte, vielleicht bei einer Schlägerei in einer Bar, und versuchte mir vorzustellen, wie jemand auf diesen Mann wütend wurde. Das fiel mir schwer.
»Ja, ich habe... Erfahrungen «, sagte er und machte mit je zwei Fingern beider Hände kleine Anführungszeichen in die Luft. »Sie machen Kinder zu... Erwachsenen . Und sie liefern Englischlehrern Stoff für ihren Scheiß in... Literaturseminaren .« Jeweils mit Anführungszeichen in der Luft.
Okay, er wollte also nicht darüber reden, wenigstens nicht jetzt. Also fragte ich ihn, wie viel er von meiner Geschichte glaube.
Er verdrehte die Augen und lehnte sich in seinen Liegestuhl zurück. »Stell meine Geduld nicht auf die Probe, vato . Du irrst dich vielleicht in ein paar Punkten, aber du bist nicht plemplem. Ich habe dort oben eine Lady... die süßeste Lady derWelt, und ich liebe sie, aber manchmal glaubt sie, ich wäre ihr Dad und wir befänden uns im Miami von 1934. Manchmal steckt sie eine ihrer Porzellanfiguren in eine Keksdose von Sweet Owen und schmeißt sie in den Goldfischteich hinter den Tennisplätzen. Ich muss sie wieder rausfischen, während sie ihren Mittagsschlaf macht, sonst ist sie stinksauer. Keine Ahnung, warum. Ich glaube, dass sie ab diesem Sommer ständig Erwachsenenwindeln tragen wird.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Darauf, dass ich loco kenne, ich kenne Duma und lerne dich allmählich kennen. Ich bin durchaus bereit zu glauben, dass du eine Vision von deinem Freund als Toten gehabt hast.«
»Ohne Scheiß?«
»Ohne Scheiß. Verdad. Die Frage ist, was du dagegen zu tun gedenkst, wobei ich voraussetze, dass du ihn nicht unter der Erde sehen willst, nur weil er - darf ich
Weitere Kostenlose Bücher