Wahn - Duma Key
ich mir nicht zutraute, die Treppe hinunterzulaufen. Ich hatte Angst, ich könnte kopfüber hinabstürzen, selbst wenn ich rückwärts ging, um mich mit der linken Hand am Geländer festhalten zu können. Teufel, ich hatte Angst, ich könnte ohnmächtig werden.
Ich musste immer wieder an den Tag am Lake Phalen denken, an dem ich mich umgedreht und Tom mit verdächtig glänzenden Augen gesehen hatte: Tom, der sich bemüht hatte, mich nicht in Verlegenheit zu bringen, indem er tatsächlich heulte. Boss, ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, dich mit nur einem Arm zu sehen. Tut mir so leid!
Das Telefon begann in dem hübschen Haus zu klingeln, das Tom in Apple Valley besaß. Tom, der zweimal verheiratet und zweimal geschieden war; Tom, der mir davon abgeraten hatte, aus dem Haus in Mendota Heights auszuziehen - Das ist so, als würde man bei einem Play-off-Spiel auf den
Heimvorteil verzichten, hatte er gesagt. Tom, der später mit Vergnügen ein wenig in meinem ehemaligen Revier gewildert hatte, wenn man Freunden mit Zuwendungen glauben wollte... und ich glaubte ihm.
Ich glaubte auch, was ich oben gesehen hatte.
Ein Klingeln... zwei... drei...
»Na los«, murmelte ich. »Nimm das Scheißding ab.« Was ich sagen würde, wenn er dranging, wusste ich nicht, aber das war mir egal. Im Augenblick wollte ich nur seine Stimme hören.
Das tat ich, aber sie war aufgezeichnet. »Hi, Sie haben Tom Riley erreicht«, sagte er. »Mein Bruder George und ich sind mit unserer Mutter zu unserer jährlichen Kreuzfahrt unterwegs - dieses Jahr geht’s nach Nassau. Was sagst du, Mutter?«
»Dass ich eine Bahama-Mama bin!«, sagte eine vom Rauchen heisere, aber unverkennbar fröhliche Stimme.
»Richtig, das ist sie«, fuhr Tom fort. »Am achten Februar sind wir wieder zurück. Bis dahin können Sie eine Nachricht hinterlassen... wann, George?«
»Wenn’s gepiept hat!«, rief eine Männerstimme.
»Genau!«, stimmte Tom zu. »Wenn’s gepiept hat. Oder Sie können mein Büro anrufen.« Er gab die Telefonnummer an, danach riefen alle drei im Chor: »BON VOYAGE!«
Ich legte auf, ohne etwas zu sagen. Nein, das hatte nicht wie die Abschiedsbotschaft eines Mannes geklungen, der an Selbstmord dachte, aber natürlich war er mit seinen liebsten und nächsten Angehörigen (die später unweigerlich sagen würden: »Er war eigentlich wie immer«) zusammen gewesen und …
»Wer sagt, dass es Selbstmord sein muss?«, fragte ich den leeren Raum... und sah mich dann ängstlich um, ob ich auch wirklich allein war. »Wer sagt, dass es kein Unfall sein wird? Oder sogar Mord? Vorausgesetzt, dass es nicht schon passiert ist.«
Wäre es jedoch schon passiert, hätte mich vermutlich jemand angerufen. Vielleicht Bozie, möglicherweise Xander Kamen, am ehesten Pam. Also …
»Es ist Selbstmord.« Diesmal erzählte ich es dem Raum. »Es ist Selbstmord, aber er ist noch nicht passiert. Das war eine Warnung.«
Ich stand auf und krückte ins Schlafzimmer hinüber. In letzter Zeit hatte ich die Krücke weniger benutzt, aber heute Abend wollte, nein, brauchte ich sie wirklich.
Meine Allerbeste saß in der Betthälfte, die einer wirklichen Frau gehört hätte, wenn ich noch eine gehabt hätte, in die Kissen gelehnt. Ich setzte mich auf die Bettkante, nahm sie in die Hand und blickte in die großen blauen Gucker, die so voller Cartoon-Überraschung waren. Aua, du böser Mann! Meine Reba, die wie Lucy Ricardo aussah.
»Das war wie bei Scrooge, der vom Geist der zukünftigen Weihnachten besucht wird«, erklärte ich ihr. »›Dies sind die Schatten von Dingen, die sein können . ‹«
Reba äußerte sich nicht dazu.
»Aber was soll ich tun? Das war nicht wie die Bilder. Es war sogar überhaupt nicht wie die Bilder!«
Doch genau das war es, und das wusste ich. Gemälde und Visionen hatten ihren Ursprung im menschlichen Gehirn, und in meinem Gehirn hatte sich irgendetwas verändert. Ich nahm an, dass diese Veränderung das Ergebnis einer genau richtigen Kombination aus Verletzungen war. Oder einer genau falschen. Hirn-Schädel-Trauma. Broca-Zentrum. Und Duma Key. Die Insel war... was?
»Eine Art Verstärker«, erklärte ich Reba. »Stimmt’s?«
Sie äußerte sich nicht.
»Hier gibt es etwas, das auf mich einwirkt. Hat es mich vielleicht sogar hergerufen?«
Bei dieser Vorstellung bekam ich eine Gänsehaut. Unter mir das Mahlen der Muscheln, während die Wellen sie hochhoben und wieder fallen ließen. Nur zu leicht konnte man sich statt Muscheln
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