Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
Frankfurter Rundschau , es sei ausgeschlossen, dass der Arzt Holzmann völlig eigenmächtig gehandelt habe. Die Verantwortlichen hätten schwere Vergehen begangen. Man habe die missliebigen Beamten mit konstruierten Defiziten abservieren wollen. »Ohne allerhöchste Rückdeckung« wäre so etwas nicht möglich gewesen. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, beurteilte den Fall als Skandal. Er bezeichnete die medizinischen Gutachten Holzmanns als unhaltbar und als Schande für den Berufsstand, die Zwangspensionierung durch das Finanzministerium als rechtswidrig. Der Vizepräsident des Saarländischen Finanzgerichts, Peter Bilsdorfer, erstattete Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Finanzverwaltung wegen Veruntreuung von Steuermitteln, weil arbeitsfähige Fahnder mit fadenscheinigen Gutachten für krank erklärt worden seien und nun lebenslang mit öffentlichen Mitteln alimentiert würden. Auf Koch und Weimar als die Schuldigen zeigte der hessische SPD -Chef Thorsten Schäfer-Gümbel: Sie hätten zugesehen, wie den Steuerfahndern übel mitgespielt wurde, und trotzdem nichts unternommen!
Roland Koch musste sich jetzt gefährdet sehen. Wenn er nicht ohnehin gezwungen würde, vorzeitig zurückzutreten, so durfte er jedenfalls nicht mehr mit seiner Wiederwahl rechnen. Er hatte sein Skandalkonto gewaltig überzogen. Zudem war zu erwarten, dass die FDP , sein Koalitionspartner, die in den Umfragen bei drei Prozent lag, bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr in den Landtag kommen würde.
Die Gewerkschaft ver.di lud mich für den 1 . Februar 2010 zu einer Podiumsdiskussion über das Thema »Ist Hessen ein Steuerparadies?« ins Frankfurter DGB -Haus ein. Es kamen rund 300 Leute. Mit auf dem Podium saßen Matthias Thieme von der Frankfurter Rundschau , der ver.di-Bezirksleiter für Hessen und ein Steuerfahndungsleiter aus Nordrhein-Westfalen. Ich setzte dem Publikum die Dimension des Skandals auseinander: Da werden vier Steuerfahnder aus einem Team von 35 Beamten wegen angeblicher Paranoia für verrückt erklärt. Jedermann auf der Straße weiß, dass Paranoia keine ansteckende Krankheit ist wie die Grippe. Jedermann weiß daher, das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Das dürfte auch Roland Koch und Karlheinz Weimar bewusst gewesen sein. Was muss in diesem Land überhaupt noch geschehen, fuhr ich fort, damit Koch und Weimar zurücktreten? Die Bevölkerung müsste vor der Staatskanzlei in Wiesbaden demonstrieren! Das Publikum applaudierte heftig. Aber es geschah nichts – vorerst.
Abgefederter Abgang
Ende Mai 2010 , vier Monate nach Einsetzung des zweiten Untersuchungsausschusses zur Steuerfahndungsaffäre, erklärt Roland Koch seinen Rücktritt. Für seine Zukunft hat er üppig vorgesorgt. Er wird Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Bilfinger und Berger ( 61 000 Mitarbeiter, zehn Milliarden Euro Umsatz). In diese Position hatte ihn der frühere Dresdner-Bank-Chef Bernhard Walter bugsiert. Sein Jahresgehalt beträgt künftig 1 , 5 Millionen Euro statt bisher 200 000 Euro. Und welche Überraschung: Er wird außerdem Aufsichtsratschef der Schweizer Großbank UBS in Deutschland! Ausgerechnet bei der UBS , die jene Bank geschluckt hatte, die die Schwarzgelder der CDU betreute. Die Opposition in Hessen ist empört, sieht darin eine Belohnung für eine besonders enge Verbindung Kochs mit der UBS während seiner Regierungszeit. In einem Interview mit der Financial Times spricht Koch aufschlussreich von seiner seit Langem bestehenden »Affinität zur Finanzindustrie«. Damit will er Finanzkompetenz demonstrieren, im Hinblick auf die Steuerfahnder aber ist es ein ungewolltes Geständnis.
Der Spiegel -Journalist Hajo Schumacher schrieb über diese »Affinität«: »Kaum ein Politiker in Deutschland hat einen so mächtigen Freundeskreis wie die Runde ›Wirtschaft für Koch‹. Anführer sind Commerzbankchef Müller und Nikolaus Schweikart, Vorstandsvorsitzender der Altona, ein Unternehmen der Quandt-Familie. Dieser Kreis umfasst 40 Bosse … Man trifft sich mehrmals im Jahr, Koch lässt kein Treffen aus! Für seinen Wahlkampf 2003 wollten sie mehr als eine Million Euro beibringen.« Angesichts dieser potenten Gönner, insbesondere des Chefs der Commerzbank, ist unschwer zu erklären, warum den Steuerfahndern so übel mitgespielt wurde.
In seiner Abschiedsrede äußert sich Roland Koch höhnisch über seine zurückliegenden Aktivitäten: »Die Wunden bitte ich zu entschuldigen.« Zu seiner
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