Wahn und Willkür: Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt (German Edition)
ein Zahnarzt und ein Altenpfleger. Im kahlen Besucherzimmer konnten wir mehr als zwei Stunden mit Mollath sprechen. Er äußerte sich klar, sachlich und differenzierend. Zugegen war der stellvertretende Chefarzt Michael Zappe. Chefarzt Klaus Leipziger, den ich um ein Gespräch gebeten hatte, war angeblich wegen einer Besprechung verhindert.
Frappierend war: Trotz intensiven Befragens vermochte Zappe nicht zu begründen, warum Mollath gemeingefährlich sei. Er brachte keinen einzigen medizinischen Befund vor, auch keine gewalttätigen Vorkommnisse in den Jahren der Unterbringung. Er berief sich allein darauf, man sei halt an das rechtskräftige Urteil gebunden. Mollath aber verweigere sich hartnäckig jeder Therapie. Solange dies der Fall sei, könne er nicht entlassen werden. Auf meine Frage, wie denn die Therapie aussehen solle, wich er aus: »Da gibt es schon Möglichkeiten …« Auf die weitere Frage, wie denn das Ergebnis einer Therapie ausfallen müsste, damit Mollath freikomme, zuckte er bloß mit der Achsel.
Nachdem wir die mehrfachen Sicherheitsschleusen wieder passiert hatten, stand für uns alle fest: Hier wurde ein völlig nor maler Mensch durch einen brutalen Willkürakt in der Psychiatrie gefangen gehalten – allein wegen seines gefährlichen Wissens um die Schwarzgeldverschiebungen. Wir waren erschüttert und sahen uns aufgerufen, alles ins Werk zu setzen, um die Freilassung dieses Mannes zu erreichen.
Mir war klar, dass es hierfür nicht genügte, lautstark auf die Unschuld Mollaths hinzuweisen. Man musste eine gesicherte Faktenbasis schaffen. Es galt, das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth und das medizinische Einweisungsgutachten, das Klaus Leipziger als Facharzt für Forensische Psychiatrie im Bezirkskrankenhaus Bayreuth erstellt hatte, zu durchleuchten. Unter dem Datum vom 28 . März 2011 legte ich eine Analyse über den Fall Mollath vor mit der Überschrift »Justiz in Bayern«. Ich gelangte darin zu dem eindeutigen Ergebnis, dass der dringende Verdacht eines vorsätzlich falschen Urteils und eines vorsätzlich falschen medizinischen Gutachtens gegeben war. Zugleich erhob ich schwere Vorwürfe gegen die beteiligten Richter und Staatsanwälte, deren Vorgesetzte und den Gutachter. Damit hatte ich eine Lunte gelegt, die eine gewaltige Menge Sprengstoff entzünden musste.
Meine Ausarbeitung übersandte ich dem Pflichtverteidiger Mollaths als interne Hilfe. Zu meiner Überraschung leitete er sie indessen nach rechtlicher Prüfung unverändert dem Landgericht Bayreuth zu. Als ich das erfuhr, war mir der weitere Ablauf ziemlich klar – der Vorsitzende Richter dürfte meine Analyse sofort an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet haben, von dort war sie innerhalb von Stunden auf dem Schreibtisch des Generalstaatsanwalts in Nürnberg gelandet und von diesem in beflissener Eile Justizministerin Beate Merk zugeleitet worden.
Verurteilung und Einweisung in eine psychiatrische Anstalt
Gustl Mollath war vom Landgericht Nürnberg-Fürth am 8 . August 2006 in die Forensische Psychiatrie weggesperrt worden. Nachdem ich das Urteil und das Einweisungsgutachten durchgesehen hatte, war ich entsetzt: Ohne wirkliche Beweise hatte die Strafkammer festgestellt, Mollath habe seine Ehefrau schwer misshandelt. Und ohne seine Angaben über die Schwarzgeldverschiebungen der HypoVereinsbank und seiner früheren Ehefrau überhaupt überprüft zu haben, waren diese als paranoide Wahnvorstellungen deklariert und Mollath als gemeingefährlicher Geisteskranker eingestuft worden. Dabei berief sich das Gericht unter anderem auf das Gutachten des Facharztes Leipziger, der allerdings die Angaben ebenfalls nicht überprüft und Mollath nicht einmal untersucht hatte, weil der eine Untersuchung verweigerte. Schon auf den ersten Blick war klar, dass Urteil und Gutachten üble Konstruktionen waren.
Erschüttert stellte ich mir vor, was Mollath durchlitten haben musste. Seit Februar 2006 saß er unschuldig hinter Gittern, zusammengesperrt mit psychisch kranken Gewaltverbrechern, Sexualtriebtätern, Drogensüchtigen. Aus der Gesellschaft herausgerissen, isoliert und alleingelassen, amtlich für verrückt erklärt, sodass seine um Hilfe rufenden Briefe nach außen nicht mehr ernst genommen wurden, war er den bürgerlichen Tod gestorben. Ohne Aussicht wieder freizukommen. Mollaths Schicksal trieb mich um, ich schlief zwei Nächte lang unruhig, dachte im Halbschlaf immer wieder an diesen Unglücklichen. Dabei setzte mir der Gedanke
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