Wahn
Quadratwichser will ich nichts mehr zu tun haben. Der ist dumm wie Bohnenstroh und betrügt, wo er kann.« Dabei blitzten mich seine Augen listig an. »Da wird noch einiges hochgehen. Morgen habe ich ein Treffen mit dem Redakteur von der BILD-Zeitung, Sie wissen schon, Titten und Crime, das gibt was Herrliches, wenn ich über unsere sogenannten Politiker auspacke, bei denen heißt es nur noch fickifickifickifick.«
»Das vergaß ich zu erwähnen«, raunte der Stationsarzt mir ins Ohr, »Herr Michalek hat ein schweres organisches Psychosyndrom. Er ist völlig enthemmt, macht ununterbrochen sexistische Witze. Ferner ist er völlig abgeflacht in seiner Persönlichkeit.«
»Das sehe ich auch«, entgegnete ich. »Wie es aussieht, hat er ein schweres enthemmendes Frontalhirnsyndrom. Ich kenne den Patienten flüchtig von früher, da war er ein außerordentlich zurückhaltender und kultivierter Herr. Hier muss zwischenzeitlich etwas passiert sein.«
»Sie haben Recht, da ist tatsächlich etwas passiert«, sagte der Assistent beinahe triumphierend. »Sehen Sie da.«
Er aktivierte den Monitor neben dem Patientenbett und zeigte mir die computertomographischen Aufnahmen. Schicht für Schicht konnte ich Michaleks Gehirns betrachten. Und tatsächlich, rechts, im vorderen Teil des Gehirns, der Frontallappen genannt wird, zeigte sich eine deutliche Schwellung: die Hirnfurchen, die ansonsten völlig seitengleich ausgebildet sind, wirkten in dieser Region zusammengequetscht. »Ist Kontrastmittel gegeben worden?«, fragte ich. Wenn man die computertomographischen Aufnahmen in dem Augenblick macht, in dem ein Kontrastmittel in die Armvene gespritzt wird, lassen sich krankhafte Strukturen, zum Beispiel Veränderungen an den Arterien oder Tumore, deutlicher erkennen.
»Ja, hier sind sie.« Zu sehen war ein ziemlich großer Tumor, kreisrund, etwas kleiner als ein Tennisball, der am äußeren Schädelknochen wie angeklebt schien. »Es handelt sich also um ein Menigeom«, sagte ich. Unter einem Menigeom versteht man einen gutartigen Tumor, der von den Hirnhäuten ausgeht. Diese Tumoren wachsen sehr langsam und verdrängen das gesunde Gehirn, ohne die Strukturen zu zerstören, wie es bei einem bösartigen krebsartigen Tumor der Fall ist. Die Symptome, die der Patient als Folge solch eines Menigeoms spürt, können ganz unterschiedlich sein. Sie hängen davon ab, an welcher Stelle die Geschwulst auf das Gehirn drückt.
In diesem Moment ging die Tür zum Krankenzimmer auf, und eine attraktive Mittvierzigerin betrat das Krankenzimmer. »Ich bin Agnes Michalek, die Ehefrau«, sagte sie. »Ich möchte wissen, was los ist. Wenn Sie wüssten, was ich in den letzten Wochen mitgemacht habe. Hans ist völlig ausgewechselt, er ist gemein und bösartig, er verhält sich völlig verrückt. Das ist nicht normal, so eine Veränderung, das kann doch nicht wahr sein. Weshalb ist er denn überhaupt hier? Er wollte doch nur einen Ausflug nach Usedom machen, und jetzt ist er in der Klinik …«
Wir gingen alle in das Arztzimmer. Agnes Michalek wirkte, da sie klein und zierlich war, noch sehr jugendlich. Nur die dunklen Ränder unter ihren Augen und das Fahrige ihrer Bewegungen verrieten, wie stressig und kräftezehrend die letzten Wochen für sie gewesen sein mussten. Kaum hatten wir das Arztzimmer betreten, in dem die vier Schreibtische der Stationsärzte standen, sprudelte es aus der Besucherin heraus: »Hans war noch nie ein besonders aufmerksamer Ehemann gewesen. Alles musste sich um ihn drehen, die gesamte Familie musste auf ihn Rücksicht nehmen. Aber damit konnten wir alle leben, er hatte auch seine guten Seiten, man konnte sich auf ihn verlassen, niemals war es langweilig mit ihm, stets hatte er Ideen, immer wollte er etwas Neues ausprobieren.« Sie sah mich erschöpft an. »Es war schon im Normalfall sehr anstrengend mit ihm, aber so, wie er jetzt geworden ist, das ist unerträglich. So will ich ihn nicht haben, mit so einem … so einem …«, sie rang nach einem Ausdruck, um besonders treffend ihre Gefühlslage auszudrücken, bis sie schließlich in der Lage war weiterzusprechen: »Mit so einem Monster kann ich nicht mehr zusammenleben. Jawohl, aus ihm ist ein Monster geworden!«
Obwohl die Kollegen gerne mit der Visite fortfahren wollten und unruhig von einem Bein auf das andere traten, nahm ich mir die Zeit, den Bericht von Agnes Michalek anzuhören. Da sie um ein Gespräch unter vier Augen bat – sie hätte viele peinliche Dinge zu
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