Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
richtet auch er sich bereits ein in der Welt der Worthülsen, der angeblichen Sachzwänge, der Macht? Und was wird, wenn bald alle Staatschefs – als Kläger, Richter und Henker zugleich – »Terroristen« nach eigener Definition weltweit mit Raketen beschießen?
Doch auch das melden Ende Januar die Nachrichtenagenturen: Eine US-Spezialeinheit der Navy SEALs, die seinerzeit auch in bin Ladens Wohnfestung eindrangen, habe in Somalia eine 32-jährige Amerikanerin und einen 60-jährigen Dänen, die dort für eine Hilfsorganisation arbeiteten, in einer Blitzaktion aus der Gewalt von Geiselnehmern befreit und ausgeflogen. Zwei Meilen entfernt waren die Soldaten gelandet, acht Kidnapper kamen bei den Kämpfen um. Die Obama-Administration nennt die Mission »wegweisend« für die Zukunft. Den Familien der Geiseln dürften in dieser Nacht Völkerrechtsdebatten nicht so wichtig gewesen sein.
Der Hauptgrund, der Amerikas Drohnenarsenal weiter wachsen lässt, könnte indes viel banaler sein: Es senkt die Kosten. »Die USA wollen weg von teuren Kriegen«, berichten Pentagon-Korrespondenten über die Sparzwänge im Wehretat. Zwei intensive Bodenkriege wie in Afghanistan und im Irak werde Washington künftig nicht mehr führen können. Der Präsident wolle hin zu kleineren Operationen, ausgeführt mit modernen Waffensystemen.
Als Obama den neuen Kurs vorgibt, erwähnt er von solchen Details nichts. »Wir haben das bestausgerüstete Militär der Welt«, sagt er nur. »Aber wir müssen unsere Fähigkeit verbessern, an Orten zu operieren, deren Zugang uns Gegner verweigern.« Und sein Verteidigungsminister Leon Panetta warnt schon mal: »Wir werden immer in der Lage sein, gegen mehr als einen Gegner zu kämpfen und zu siegen.«
Der Kurzeinsatz gegen Libyens Machthaber Gaddafi ließ zuletzt ahnen, wie Kriege künftig ablaufen: mit geheimen militärischen Beratern, die einheimische Kämpfer mit Waffen und Geld versorgen, ferngesteuerten Kampfdrohnen, die Zielkoordinaten folgen, und Cyberattacken auf die Infrastruktur des Gegners. Allein von Letzteren hat das Pentagon dort abgesehen, wie zuvor schon in Afghanistan und im Irak. Zwar gab es Pläne, die Firewalls von Gaddafis Regierungscomputern zu knacken und so Frühwarnsysteme und Flugabwehr lahmzulegen, schreibt die New York Times . Doch Spezialisten hätten Obama davon abgeraten. Man habe keinen Präzedenzfall schaffen wollen, auf den China und Russland künftig vor eigenen, ähnlichen Angriffen verweisen könnten. »Cyberstrategien sind immer noch wie der Ferrari, den man in der Garage lässt«, zitiert die Zeitung einen Regierungsbeamten, dessen Vergleich Bände spricht. »Man holt ihn eben nicht für eine kurze Stadtfahrt raus, sondern erst für das große Rennen.«
»Fürchterliche Perspektive«
Wer aber soll hier je neue moralische und rechtliche Grenzen der Kriegsführung festlegen, wenn noch nicht einmal die bisherigen hinreichend eingehalten werden? Die Schande von Guantanamo, wo die USA auch nach zehn Jahren Dutzende von Menschen festhalten, die selbst der Geheimdienst für unschuldig erklärt hat, vermochte auch Obama nicht zu beenden. Und seine Rivalen teilen nicht einmal das Anliegen.
Auch die berüchtigte Wasserfolter sahen die republikanischen Herausforderer in Fernsehdebatten fast durchweg – wie schon die Bush-Regierung – als legitime »Verhörmethode« an. Und als wir Bushs früheren Starjuristen Viet Dinh, der dessen noch immer umstrittene Sicherheitsgesetze verfasste und heute an der Georgetown-Universität lehrt, rückblickend nach seiner Meinung zum Waterboarding fragen, ist ihm die Antwort nicht zu peinlich, er habe sich »damit nicht genügend befasst«.
Es ist bezeichnend, dass im konservativen Kandidatenlager allein der als schrullig und altmodisch geltende, chancenlose Senior Ron Paul aufrecht darauf pochte, dass Waterboarding Folter sei und damit illegal. Und dass Amerika im Übrigen keine Staaten attackieren dürfe, ohne ihnen zuvor den Krieg zu erklären.
Gerne warnen Obamas Widersacher die Amerikaner davor, dass der Präsident in einer zweiten Amtszeit »noch radikaler« würde als bisher schon. In Wahrheit stellt sich die Frage umgekehrt: Wohin triebe wohl die verunsicherte Weltmacht erst, wenn die Republikaner einschließlich der Tea Party den Kurs vorgäben?
Nobelpreisträger Paul Krugman graut schon jetzt vor deren »aggressiver Antiwissenschafts-, ja sogar Antiwissenspartei«, wie er schreibt. Nicht nur ihr zeitweiliger Kandidat
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