Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
einen Kunden hin, unter dessen Jacke ein grüner Krankenhauskittel sichtbar war. Ein Pfleger, der gehofft hatte, dass sein Opfer nicht mehr lange leben würde und sich deshalb nicht mehr wehren könne.
Danach nahm sich Eric einen Anwalt, um den Banken nachzuweisen, wie leichtfertig sie den Betrug hinnahmen – und sogar noch daran verdienten. Denn an jedem Dollar Umsatz, auch dem illegalen, ist die Bank beteiligt. Erste Verfahren gaben ihm recht. Im Anwaltsbüro türmen sich inzwischen Umzugskisten voller Beweismaterial im Musterverfahren Drew gegen die Finanzwelt. Auf den Aktendeckeln stehen die namhaftesten Geldinstitute Amerikas. »Was die Kredithäuser hier vorantreiben, ist die komplette Automatisierung des Geldgeschäfts«, schimpft Eric. »Kreditlimits, Bewertung von Kunden, Kartenausgabe, alles per Computer und Telefon, ohne dass damit noch Menschen betraut sind. Der Täter musste nur anrufen und sagen: ›Hi, ich bin Eric Drew, hier ist meine neue Adresse, senden Sie mir eine Kreditkarte.‹ Und sie schickten ihm fünf davon. Und boten ihm danach noch weitere an.«
Tatsächlich gerät im Zuge der Finanzkrise vor allem die führende Bank of America öffentlich unter Druck, weil sie unzählige Zwangsräumungen allein von Bankcomputern auf den Weg bringen ließ, ohne Nachfragen, Kundengespräche und Einzelprüfungen. Die Software arbeitete tadellos.
Armen-Lotto
Die »Turbulenzen«, die Präsident George W. Bush von seiner Wirtschaft fernhalten wollte, brechen sich schon wenig später Bahn. Am Ende werden sie Amerika acht Millionen Arbeitsplätze kosten. Um einen noch tieferen Einbruch zu verhindern, beschließt Bush mit Stimmen aus beiden politischen Lagern und gegen Widerstand aus seiner eigenen Partei ein 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket. »Es gab Momente, in denen manche dachten, die Regierung schaffe es nicht«, gibt er sich nach dem Votum demütig. »Aber dank der Arbeit des Kongresses und dem Geist der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parteien haben wir zügig reagiert.«
Die Staatsskeptiker der Republikaner, geführt vom schneidigen Fraktionsvize Eric Cantor aus Virginia, hielten lange dagegen. Sein Fraktionschef John Boehner hofiert danach die Kritiker. Auch sie hätten geholfen, das Mega-Gesetz besser zu machen. »Ich werde weiterhin mit allen reden«, verspricht er. »Aber zuerst mussten wir handeln.«
Jahre später, als Chef des republikanisch dominierten Repräsentantenhauses und noch immer mit dem ehrgeizigen Cantor im Nacken, wird Boehner nicht mehr so viel Wert auf Nähe zum Präsidenten legen. Denn dann werden die Wähler nicht George W. Bush den Stillstand übel nehmen, sondern dem strauchelnden Nachfolger Barack Obama, dessen Wiederwahl die Republikaner um jeden Preis verhindern wollen – und dem sie der Einfachheit halber das milliardenschwere Wirtschaftspaket gleich mit anlasten, als hätte es Bushs Anteil daran nie gegeben.
Wie alle Amerika-Chronisten bemühen wir uns in diesen Monaten, die Wirtschaftskrise vor allem dort auszuleuchten, wo Menschen sie erleiden. Wir berichten von Farmern in Iowa, die ihre Steaks nicht mehr am Markt loswerden, und von kirchlichen Armen-Helfern, deren Spendenaufkommen nicht mehr reicht, um den Bedürftigen mit Lebensmitteln und Heizkostenzuschüssen zu helfen. Damit sie die stundenlang Anstehenden nicht mehr mit leeren Händen abweisen müssen, gehen die Initiatoren dazu über, jeden Montagmorgen Lose auszugeben. Die glücklichen Gewinner erhalten dann ein paar Dollar, die anderen hoffen auf die nächste Ziehung. Immerhin, sagen die Helfer, hätten so alle gleiche Chancen.
Am Beispiel der Hafenstadt Annapolis, von der aus Washingtons Nachbarbundesstaat Maryland regiert wird, zeichnen wir nach, wie die Krise der Wall Street die »Mainstreet« erreicht, sprich: Amerikas Mittelschicht.
In der ersten Ladenzeile erklärt uns die Betreiberin der Käsetheke, dass sie Zwischenhändler nunmehr ausspart und nur noch bei Erzeugern kauft. Im Weinladen kostet der Merlot nun keine 20 Dollar mehr, sondern zehn. Eine Lehrerin ist froh um jede Stunde, die sie zusätzlich arbeiten darf, zumal Lehrer in den langen US-Sommerferien gar kein Gehalt beziehen. Ein Bootsbauer erzählt von seiner 75-jährigen Mutter, die wieder zu arbeiten begonnen habe, weil ihre Altersvorsorge mit den Aktienkursen weggebrochen sei.
»Hört uns jemand?«
Und wir treffen eine Schulklasse in der Pleite-Stadt Pomona in Südkalifornien, die Bushs Megafonzitat wörtlich
Weitere Kostenlose Bücher