Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
Carl Bernstein. »Das würde sie zwar nicht gerne hören. Aber es geht nun mal um zwei Leute, sie und Bill, die schon einmal acht Jahre im Weißen Haus gelebt haben und das jetzt wieder wollen.«
Doch eben das, die bloße Rückkehr in die Vor-Bush-Jahre, wollen viele offenbar nicht mehr. Vor allem jungen Amerikanern reicht der Amtswechsel nicht, wenn sie noch dazu den Generationswechsel erreichen können. Ihr Frontmann ist ein schlacksiger Jung-Senator mit einem seltsamen Namen: Barack Obama. Was seine Wahlkampfkassen füllt, sind Kleinspenden. Sein Slogan: Wandel von unten. Jeder könne mitmachen.
Als ich ihn in Washington zum ersten Mal reden höre, auf einem Platz nahe des Hauptbahnhofs, bin ich gespannt auf die Aura, die ihm viele schon zugeschrieben haben. Mit mir warten mehrere Tausend Menschen. Dann erscheint er auf der Bühne, locker und selbstsicher, die weißen Ärmel hochgekrempelt.
»Es gibt Leute, die sagen, Politik ist ein Spiel«, formuliert er jenen Satz, den ich als ersten aufschreibe, »und sie sagen, dass wir die Person wählen sollen, die das Spiel am besten kann.« In Wahrheit aber sei es an der Zeit, dieses Politikspiel zu beenden.
Wahlkampf eben, denke ich da noch. Doch dann begeistert er die Menschen mit Botschaften, die visionär sind. »Unser Gesundheitssystem ist seit Jahrzehnten in der Krise. Da waren Regierungen von Demokraten und Republikanern an der Macht. Und nichts ist seitdem passiert.« Amerika müsse seine Schulen reparieren und seine Kinder endlich aufs College schicken statt in den Knast. Es müsse den Klimawandel stoppen und den Irak-Krieg beenden. Schließlich das Versprechen, Amerikas Moral zu ändern: »Wir werden Guantanamo schließen, weil wir keine Nation sind, die Menschen ohne rechtsstaatliches Verfahren einsperrt«, bricht er mit der Vorgänger-Regierung. »Oder die sie in anderen Ländern nachts foltern lässt. Das sind nicht wir. Wir sind Amerika. Eine leuchtende Fackel in der Weltgemeinschaft.«
Jahrelang haben die Amerikaner das nicht mehr gehört. Sie nehmen es auf wie Verdurstende. Ich bin halb beeindruckt und halb aufgewühlt, weniger davon, was er sagt, sondern mehr noch von der Art, wie er es tut. Ich nehme diesem Mann ab, dass er es ernst meint.
Dabei haben auch wir lange auf Hillary Clinton gesetzt. Doch dann gewinnt Obama überraschend die demokratischen Vorwahlen in Iowa. Clinton kontert in New Hampshire. Alles ist offen. Mit Dutzenden von Drehcassetten reise ich nach New York, um mit meiner Kollegin Annette Dittert, die bisher Hillary Clinton begleitet hat, schnellstmöglich einen 30-Minuten-Film über die beiden Kontrahenten zu produzieren. Das Interesse, auch in Deutschland, an dem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Clinton und Obama bleibt beispiellos hoch, egal ob man US-Primaries bisher für albernen Zirkus hielt oder für vorbildliche Bürger-Demokratie.
»Wir haben uns noch nie so sehr für unser Land geschämt wie während der Amtszeit Bushs«, sagen uns vor allem Obamas Anhänger, darunter viele Erstwähler und bisherige Nichtwähler. »Er ist einer, der das Bild, das andere von uns haben, wieder verbessern kann.« Er bringe die unterschiedlichsten Menschen zusammen und könne Amerika vereinen. Sie schwärmen gegenüber Zögernden vom Aufbruch der Kennedy-Zeit, überzeugen skeptische Eltern, sie spenden Geld, bis alle Rekorde fallen. Eine Lehrerin sagt mir, sie habe sich immer um ihre lethargischen Großstadtschüler gesorgt. Jetzt aber erlebe sie, wie begeistert sie seine Poster aufhängten und zu Hause über Politik diskutierten. »Ich bin sicher«, sagt sie, »wenn er nicht gewinnt, würden sie es als verpasste Chance bedauern.«
Brookings-Experte Stephen Hess beschreibt die Stimmung ähnlich. »Es gibt vieles, was Obamas Erfolg ausmacht«, sagt er uns im Interview. »Schon, dass er nicht George W. Bush ist, gehört dazu. Aber das meiste liegt an ihm selbst. Er kann überzeugen. Er ist ein großartiger Redner. Davon gab es unter Amerikas Präsidenten nur wenige, auch wenn man das anders erwarten würde. Ronald Reagan war einer, Franklin Roosevelt. Manchmal Bill Clinton.«
Den klarsten Zuspruch für Obama erhalten wir vom früheren US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, einem der renommiertesten Analysten, den wir im Washingtoner Zentrum für strategische und internationale Studien treffen. »Die Erfahrung der letzten Jahre ruft nach einem drastischen Wandel der Beziehungen Amerikas mit der Welt«, findet er. »Die Clinton-Jahre waren
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