Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
»Unser Land hat mehr Schätze als andere, aber das ist nicht, was uns reich macht«, endet er. »Wir haben die mächtigste Armee, aber das ist nicht, was uns stark macht. Es ist der amerikanische Geist, der uns weitertreibt, der uns zusammenhält, der uns nicht nur sehen lässt, was sichtbar ist, sondern auch, wie es besser sein könnte. Dieser Geist ist unser größtes Erbe.«
Zugegeben, kurz ertappe ich mich danach bei dem Gedanken, dass jener Geist da doch schon mal mit besseren Staubsaugern beginnen könne. Doch tatsächlich hoffen an diesem Abend Millionen Amerikaner nicht nur, dass Obama ihr neuer Präsident wird, sondern auch, dass er die politische Kultur in Washington verändern wird.
Einer der kenntnisreichsten Wahlkampfinsider lehrt damals an der katholischen Pepperdine-Universität nahe Los Angeles. Er findet die Unterschiede so augenfällig, dass er das Lager wechselte – vom anfänglichen Gegner Obamas zu seinem Unterstützer. »Ich glaube, er hat das Talent, nicht wie ein Demokrat oder Republikaner zu regieren, sondern als einer, der die Lager verbinden kann«, sagt uns Douglas Kmiec, als wir ihn in Kalifornien befragen. Er habe es erlebt.
»Obama kann in einem Raum sein, wohl wissend, dass da nicht alle für ihn sind. Dann ermuntert er sie, ihm ihre stärksten Argumente zu nennen und seine schwächsten«, erinnert er sich. »Und am Ende des Treffens hat er einen Weg gefunden, mit dem alle einverstanden sind.«
Als ich nach einem Beispiel frage, nennt auch er die Abtreibungsfrage. »Es war sein Programm, das auch mir als Katholiken mehr Perspektive bot als das simple Pro-Leben-Bekenntnis der Republikaner«, erklärt er. »Da steht mehr über das Problem als in jedem anderen Parteiprogramm bisher. McCain beließ es dabei, dass er gegen Abtreibung sei. Aber immer mehr religiöse Wähler fragen: Was heißt das? Klärt ihr Jugendliche besser auf? Bezahlt ihr Schwangerschaftsbetreuung? Und Mutterschaftsgeld für Arme? Senkt ihr die Kosten, die bisher Adoptionen verhindern? Das greift tatsächlich die Ursachen auf. Sie können nicht mehr einfach ›Ich bin Pro-Life‹ sagen und denken, das reicht. Ich schätze, wir sind in einer Phase des Pragmatismus angekommen. Die Leute sind die Ideologien leid.«
Die Schubkraft, mit der US-Parteitage ihre Kandidaten gewöhnlich in neue Umfragehöhen katapultieren, hält nach Denver jedoch nicht lange vor. Der Grund ist eine neue, aufsehenerregende Schachfigur, die John McCains Strategen nur Tage später auf das Wahlkampfbrett schieben: Sarah Palin.
Sie wird der strahlende Stern des Konkurrenz-Parteitags der Republikaner in Minneapolis. Mit schriller Stimme weckt sie vor allem Amerikas religiöse Rechte aus ihrer Lethargie. Viel Fahne, kaum Inhalt, wie selbst die eigenen Vordenker beklagen. Doch auch sie feiern die Gouverneurin aus Alaska als Wunderwaffe, als lang ersehntes Obama-Gegengift, noch dazu aus eigener Küche. Dabei hat sie programmatisch nur wenig mehr zu bieten als den volksnahen Slogan »Drill, baby, drill«, mit dem sie zu mehr Ölbohrungen drängt, und jede Menge Häme über den Widersacher und dessen Auftritte. Der Republikanerbasis aber genügt das völlig. Sie feiert ihre neue Heldin, die endlich liefert, was McCain nicht konnte oder wollte – raffinierten, aggressiven Wahlkampf.
»Es dürfte schon etwas mehr sein«, kommentiere ich später in den Tagesthemen, »als Obamas Reden als bloße Reden zu verspotten – und sich dafür selbst als Rednerin umjubeln zu lassen.« Doch eben das wird noch über Jahre hin die Linie der Partei bleiben. Statt an neuen, eigenen Antworten auf Amerikas Probleme zu arbeiten, ziehen es die Republikaner vor, künftige Wahlen eher zu Volksabstimmungen gegen Barack Obama zu machen.
Chicago in Tränen
Anfang November 2008 ziehe ich ein begehrtes Reporter-Los. Als beschlossen ist, dass wir die gesamte Wahlnacht nach Deutschland übertragen, mit Moderatoren im Washingtoner Studio und Live-Reportern sowohl bei John McCains Republikanern in Arizona als auch bei den Demokraten in Illinois, fällt mir die Außenposition Chicago zu, wo Obama und seine Familie auf das Wahlergebnis warten werden – zusammen mit 120 000 Anhängern im weitläufigen Stadtpark. Sie seien angereist, versichern sie uns dort immer wieder, »um Geschichte zu erleben«.
Zuvor durchstreifen wir noch Obamas Wohnviertel. Beim Bäcker sind Teigwaren mit Kandidatenkonterfei der Renner. Doch die Verkäuferin mag noch nicht wirklich daran glauben:
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