Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
dessen moralische Erbmasse. Dass Amerika in seiner Amtszeit Glaubwürdigkeit verloren habe, sei nur die irrige Ansicht einer elitären Minderheit in Europa, bürstet er das Pressekorps ab. Ob er vorhabe, etwa mit Blick auf Foltervorwürfe, auf den völkerrechtlich strittigen Irak-Krieg und Guantanamo, noch Wegbegleiter zu amnestieren, fragt ein akkreditierter Reporter. Antwort: »Darüber rede ich hier nicht.«
Einmal noch feiern
Selten berichten wir mehr aus Amerika als in diesen Tagen. Selbst von der Generalprobe der Inauguration liefern wir Reportagen. Sie zeigen Militärangehörige bei Stellproben in eisiger Nacht. Das Pentagon hat sie getreu der Körpermaße ausgesucht, einschließlich zweier Doubles für die Präsidententöchter. Jedes Händeschütteln, jeden Gang, jede Gebetszeile gehen sie durch.
Der hochgewachsene US-Sergeant Derrick Brooks, der den Präsidenten mimt, erzählt mir, er habe den echten Obama schon getroffen. »Er scherzte, meine Ohren seien nicht so groß wie seine«, lacht er breit. »In der Dienstmail hatte aber nach den Ohren keiner gefragt.«
Kurz nach zehn Uhr an einem kalten Januarmorgen 2009 fährt dann das Ehepaar Obama am Weißen Haus vor, um dem scheidenden Vorgängerpaar die Hand zu reichen. Danach nimmt ihr Konvoi Kurs aufs Kapitol. Entlang der Route und auf dem gesamten Grüngürtel drängen sich Hunderttausende. Einmal noch wollen sie gemeinsam die Geschichte feiern. Von der Sklaverei ins Weiße Haus, weiter könne kein Mensch gehen, sagen sie. Das sei Amerika. Bald hallt der Donner der Salutschüsse über dieses Meer von Menschen, die seit Stunden auf Obamas Amtseid warten.
»Wir sind die reichste und mächtigste Nation der Erde«, ruft er ihnen in der Antrittsrede zu. »Von heute an müssen wir aufstehen, den Staub abklopfen und Amerika neu aufbauen.« Statt alter Konfrontationen will er die Diplomatie stärken: »Wir sind Freunde jeder Nation und eines jeden Einzelnen, der Frieden und Würde sucht«, sagt er. Den Vormachtanspruch in der Welt gibt aber auch er nicht auf. »Amerika ist bereit«, kündigt er an, »wieder zu führen.«
Kaum einer registriert damals, in welche Fallhöhe sich Obama damit von Anfang an begibt. Gerade hat das Land dem kühnen Allmachtsanspruch des letzten Präsidenten abgeschworen, da verspricht der neue seinem in Superlative verliebten Volk, dass es von nun an beides zugleich sein könne: zuhörender Partner auf Augenhöhe einer aufgeklärten Weltgemeinschaft – und alleinige, voranschreitende Supermacht.
Unten, zwischen Washington-Monument und Lincoln-Denkmal, gehen die Reaktionen bereits auseinander. »Für mich ist er das größte politische Talent seit Jahrzehnten, aber vielleicht hätte er sich eine andere Zeit aussuchen sollen«, sagt uns ein älterer Mann ahnungsvoll. Ein jüngerer zählt dagegen euphorisch seine Erwartungen auf: »Ich möchte, dass er nun alle Fehler korrigiert, die in den Vorjahren gemacht wurden. Dass er die Soldaten heimholt, die Wirtschaft auf Kurs bringt und den Leuten wieder Arbeit gibt, die sie nicht mehr verlieren.« Sie werde geduldig sein, meint eine Dritte. »Hier lief zuletzt so viel schief. Es wird schwer, das alles zu ändern.« Drei Antworten, hier noch spontan geäußert, die erkennen lassen, was auf Obama wartet, sobald das Besser-als-Bush-Argument seine Anhänger nicht mehr zusammenhält.
Kurz darauf ordnet der Präsident als eine seiner ersten Amtshandlungen an, die Militärprozesse in Guantanamo auszusetzen. Auch sei den US-Geheimdiensten jede Art von Verhören untersagt, die als Folter angesehen werden könnten. Das Lager werde spätestens in einem Jahr geräumt. Es ist sein am klarsten formuliertes Versprechen zu Beginn der Amtszeit. Und das erste, das er nicht wird halten können.
Schon als er die Anordnung abzeichnet, schaut ihm die Welt über die Schulter, gespannt, was nun aus Amerika wird. Auch unsere Redaktionen in Deutschland geben ihm nicht einmal die üblichen 100 Tage Zeit, bis sie die erste Prüfbilanz einfordern.
»Er hatte einige Ausrutscher«, konstatiert Brookings-Beobachter Stephen Hess acht Wochen nach dem Wechsel im Weißen Haus. Zwei neue Minister waren da schon zurückgetreten, bevor sie überhaupt zu arbeiten begonnen hatten. »Aber Obama hat sich erholt, die Leute lassen ihm Spielraum«, ist Hess zuversichtlich, »sie sehen, dass er die Probleme angeht.«
Zuallererst gilt das weiterhin für die Finanz- und Wirtschaftskrise. Doch als Spitzenmanager, gegen zornige
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