Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
»Al Gore hat auch mal zehn Punkte in Umfragen vorn gelegen«, sagt sie besorgt, »wir wissen alle, was danach passiert ist.«
Und Obamas Stammfriseur versichert, sein prominenter Kunde sei stets der gleiche Mensch geblieben. Er rede mit jedem, keine Allüren, immer freundlich. Ein Foto hält im Laden fest, wie er ihm einst die Kurzfrisur verpasste: »Er sagte mir: ›Ich muss eine Rede halten. Schau, dass ich gut aussehe.‹ Also tat ich’s.«
Um die Reporterplätze auf der Pressetribüne, wo die internationalen TV-Kommentatoren fast Schulter an Schulter nebeneinanderstehen, ein jeder mit Blick in seine Kamera vor sich, gibt es endlose Rangeleien. Am Ende teile ich mir meine Position mit einer Kollegin des italienischen Fernsehens. Zweimal stündlich wechseln wir uns mit Live-Schaltungen ab. Dazwischen reden wir mit den Menschen in der Menge, hören Zwischenergebnisse, telefonieren mit unseren Sendestudios.
Als mehrere vorentscheidende Bundesstaaten an Obama gefallen sind, ist der Bann gebrochen. Keiner wartet mehr auf weitere Zahlen, nur noch auf den neuen Präsidenten. Dann endlich, als der zur Kundgebung durchgeschaltete US-Nachrichtensender CNN auf Großleinwänden das Prognosehäkchen bei Barack Obama setzt, brandet grenzenloser Jubel auf. Nie werde ich den Moment vergessen, als ich in die schwarze Kameralinse vor mir nach Hause berichte, wie Obama mit Frau Michelle und den beiden Töchtern Sasha und Malia Hand in Hand auf der Bühne erscheint, während neben mir Kollegen in allen Sprachen ähnlich reportieren wie ich selbst – und vor mir, gleich neben dem Kameramann, unserer sonst so besonnenen Producerin Valerie Hamilton plötzlich Sturzbäche von Tränen über die Wangen laufen. So sehr sie sich auch bemüht, nichts davon kann sie zurückhalten.
Kickstart in die Dauerkrise
Noch bevor Obama als Präsident vereidigt ist, fordert die anhaltende Wirtschaftskrise auch ihm richtungsweisende Entscheidungen ab. »Wir haben allein in diesem Jahr über eine Million Jobs verloren«, beginnt er seine erste Pressekonferenz, ohne zu wissen, dass sich die Zahlen bald noch um ein Vielfaches verschlimmern werden. Noch während die Monteure auf den Kapitolstreppen die Tribünen für die Übergabefeiern zusammenschrauben, sagt Obama ein weiteres Stimuluspaket von 100 Milliarden Dollar zu, pünktlich zu seinem Amtsantritt. Ein solcher »Kickstart«, der dem Land den Aufschwung bringe, erklärt er den US-Medien, sei nötig.
Auch Amerikas wankenden Autokonzernen General Motors, Ford und Chrysler, die mit in die Krise geschlittert sind, will Obama helfen, wenn auch nur unter strengen Auflagen. Ihre Absatzzahlen sind rapide gesunken, weil Kunden kaum noch an Bankkredite kommen und Großausgaben ohnehin immer mehr scheuen. Zugleich rächt sich der blinde Glaube aller an billiges Benzin. Nun, da auch an Amerikas Tankstellen die Preise steigen, fehlt den Konzernen die Spritspartechnologie, die umweltbewusstere Hersteller in Japan, Deutschland und Südkorea ihnen voraushaben.
Die Autobauer seien das Rückgrat der US-Wirtschaft, steht ihnen Obama dennoch zur Seite, denn jeder Wirtschaftsexperte weiß, dass ein Kollaps des Industriekerns in Detroit auch noch eine Unzahl von Arbeitsplätzen im Zuliefer- und Servicesektor kosten würde. Allerdings verlangt er von den Konzernmanagern einen neuen, grüneren Kurs und von den Arbeitnehmern Verzicht bei Einkommen und Altersbezügen. Tatsächlich wird er vor allem den Branchenriesen General Motors sichtlich verschlanken und so vor dem Zusammenbruch bewahren. Obwohl die Konzerne die Kredite zurückzahlen müssen, unterstützen die Republikaner ihn dabei nicht. »Bald käme hier jede Firma an, damit Uncle Sam ihr aus der Patsche hilft«, spottet ihr Abgeordneter Gresham Barrett und Multimillionär Romney fordert offen, die Konzerne getrost dem Bankrott zu überlassen.
Auch wenn Obama später dafür kritisiert wird, er habe seine Agenda falsch gesetzt: Die Tagespolitik nach seiner Wahl belegt das nicht. »Wir müssen handeln, und das schnell«, beteuert er früh. »Meine erste Aufgabe wird sein, Menschen zurück in Arbeit zu bringen.«
Da kommen von der Wall Street freilich schon die nächsten schockierenden Quartalsbilanzen: Milliardenverluste sowohl bei der Bank of America als auch bei der Citigroup. Um beide Megabanken steht es damit weitaus schlechter, als Fachleute befürchtet haben.
Unterdessen wirft der letzte Pressetermin George W. Bushs noch einmal ein Schlaglicht auf
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