Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
wirtschaften.«
Aber ist das ohne Steuermehreinnahmen, zumindest von den Top-Verdienern, wie es Obama vorschlägt, wirklich zu ändern? Da reiben sie sich alle das Kinn. »Mag sein, dass es nicht machbar ist«, seufzt nun wieder die Kundin. »Aber wer zahlt schon gerne Steuern?«
Glühbirne statt UNO
Im Ort werben Plakate für beide Kandidatinnen. Die Amtsinhaberin Stephanie Herseth Sandlin ist zwar Obamas Parteifreundin, legt aber in ihren TV-Spots Wert auf Distanz zu ihm: »Ich habe gegen die Rettung der Banken gestimmt, gegen seine Gesundheitsreform und gegen Klimagesetze«, erklärt sie vor antikem Schreibtisch und eingerolltem Sternenbanner.
Rivalin Kristi Noem posiert als Wahlkämpferin derweil vor ihrer Ranch. Und verspricht schnörkellos: »Ich werde in Washington das Nötige tun. Die Staatsschulden senken, die Ausgaben kürzen, die Gesundheitsreform stoppen und Arbeitsplätze schaffen.« Alles in einem Satz, als sei es nur eine Willensfrage.
Zwar stemmt sich Herseth Sandlin manchen allzu einfachen Wahrheiten des Tea-Party-Lagers entgegen. »Meine Gegnerin dreht die Dinge, wie es ihr gerade passt«, versucht sie in Interviews anzugreifen. »Sie wirft mir vor, dass ich für Obamas Wirtschaftshilfen an die Bundesstaaten gestimmt habe. Aber das Geld haben ihre Parteikollegen gern genommen – um dann für sich zu reklamieren, sie hätten als Konservative daheim den Haushalt ausgeglichen. Und zugleich verlangt der republikanische Gouverneur von South Dakota mehr Bundeszuschüsse für die Sozialversicherung.« Doch in diesen Zeiten wirken Herseth Sandlins Konter längst so sperrig wie ihr Name.
Zeitungsreporter Jonathan Ellis, der von der Universitätsstadt Sioux Falls aus das Duell seit Monaten beobachtet, spricht von einem klaren Trend gegen alle, die derzeit einen Parlamentssitz innehaben. »Das hier sind Anti-Amtsinhaber-Wahlen«, erklärt er uns in der Redaktion des Traditionsblattes Argus Leader . »Sowohl in den ländlichen Gegenden als auch in den Zentren, wo die Arbeitslosigkeit noch höher ist, gilt ganz klar nur noch das Motto: Werft sie alle aus den Ämtern. Wählt neue Leute. Die können nur besser sein.«
Als Leitfiguren gälten weithin die Tea-Party-Wortführer, die mal das Bildungsministerium schließen wollten, mal die nationale Umweltbehörde, mal für konventionelle Glühbirnen kämpften, mal für den Austritt aus der UNO.
»Wenn man sich manche der Kandidaten ansieht, in ganz Amerika«, findet auch er, »wundert man sich sehr, wie sie es durch die Vorausscheidungen schafften und von ihrer Partei aufgestellt wurden.«
»Wenn schon Sie es nicht verstehen, wie dann wir?«, frage ich. »Haben Sie gar keine Erklärung parat?«
»Doch«, sagt er. »Die Leute sind wütend wegen der Wirtschaftskrise. Fast überall.«
Unter ausladenden Kronleuchtern eines Hotel-Ballsaals lauschen wir mit Ellis später, wie Kristi Noem bei einem Business Lunch um Spenden bittet. Ihre Standardrede dreht sich zum großen Teil um ihren Vater, der sich kühn den Pferden in den Weg gestellt habe, wenn Tochter Kristi mal wieder die Herde durchgegangen war. Entschlossenheit sei mithin das Entscheidende, auch in der Politik. »Bedenken Sie«, sagt sie, »dass dies eine wichtige Richtungswahl ist.«
Die kurze Fragerunde meistert sie ohne Mühe. Niemand zwingt sie in Details, Widersprüche bleiben ungeklärt. So kritisiert sie Obamas Gesundheitsreform, obwohl sie vieles davon beibehalten würde. Den Afghanistan-Krieg will sie schlicht so lange führen, bis er gewonnen sei. Sie drängt auf massive Haushaltskürzungen in Washington, fordert zugleich aber 200 Millionen Dollar allein für South Dakotas Militärstützpunkte. Im Interview frage ich anschließend auch sie, ob Obamas Finanzreform nach der Bankenkrise nicht schlichtweg fällig war. »Bessere Regeln sind immer eine Option«, meint sie. »Aber doch nicht die Übernahme der Banken durch die Regierung.« Dann muss sie weiter.
»Unsere Philosophie«
Mitten im Saal steht da noch wie eine Eiche der stämmige Chef der örtlichen Tea-Party-Sektion. Seine Visitenkarte ist ein erfundener Eine-Milliarde-Dollar-Schein. »Dr. Allen Unruh«, steht darauf, »professioneller Redner für Amerikanismus.« Er wird mir klarer als jeder andere die Weltsicht der Regierungskritiker darlegen, am Ende ohne jedes Beiwerk, reduziert auf einen Satz, von dem sich alles andere ableiten lässt.
»Die Regierung hat die Finanzkrise verursacht«, beginnt er. »Denn die Politik war
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