Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
es, die die Banken zu niedrigeren Standards für ihre Kreditvergabe drängte. Weil sie die Regeln lockerte, nutzten Menschen das aus, so wie sie es in jedem Wohlfahrtssystem tun.«
Ich gebe ihm in dem Punkt recht, wende aber ein, dass wir nicht von Wohlfahrtsempfängern redeten, sondern von Bankmanagern, die mit faulen Finanzprodukten in Milliardenhöhe handelten, um damit selbst reich zu werden.
»Die Regierung ist immer schnell, wenn es gilt, mit dem Finger auf andere zu zeigen«, sagt er. »Wir sollten aufhören, uns davon ablenken zu lassen, sondern auf sie selber schauen.«
Was denn falsch sei daran, wenn Obama die zu lockeren Regeln wieder strenger fassen wolle, frage ich weiter. Das müsse er doch gerade begrüßen.
»Wo hat eine Regierung jemals gut gearbeitet?« antwortet er nun. »Wenn Sie sich die Reformen anschauen, die Obama auf den Weg gebracht hat, dann sehen Sie, dass sie das Land pleite machen. Es gibt nur zwei Orte auf der Welt, wo Sozialismus funktioniert. Das sagte schon Ronald Reagan. Im Himmel, wo man ihn nicht braucht, und in der Hölle, wo er ohnehin herrscht. Wir müssen wieder zu mehr Eigenverantwortung kommen. Weniger Kontrolle. Lasst die Leute selbst entscheiden. Wir haben den höchsten Lebensstandard in der Welt seit 200 Jahren. Alles wegen des freien Markts.«
Aber gerade der freie Markt habe doch all die Betrügereien zugelassen, wende ich erneut ein. Die Eigenverantwortung der Wall Street jedenfalls habe nicht eben geholfen.
»Die Wall Street handelt immer noch verantwortungsvoller als die Regierung«, legt er sich fest. »Ich traue der Regierung überhaupt nicht.«
Ob das tatsächlich seine einzige Lehre aus der Bankenkrise sei, frage ich noch. Darauf folgt sein Schlusswort: »Es gibt kein Problem der Welt, das eine Regierung nicht noch schlimmer machen würde. Das ist unsere Philosophie.«
Ich bin dem Mann nahezu dankbar für seine schnörkellose Einweisung in die Tea-Party-Weltsicht. Denn sie macht deutlich, wie sehr sich Amerikas konservative Partei damit selbst im Weg steht, sobald sie Politik machen muss. Die Pauschalkritik an jeder Regierung als solcher schließt Politik geradezu aus. Ihre Absage an jedwede Regulierung, die sich die Tea Party auf die Fahnen schreibt, verhindert nicht nur schlechte Politik, sondern auch gute.
Nach dieser Logik könnte Amerika auch das Faustrecht wieder einführen. Auch dass die Tea-Party-Anhänger den Klimawandel abstreiten, ist nur folgerichtig. Denn würden sie ihn als Problem erkennen, müssten sie aktiv Regulierung unterstützen, von Abgasnormen bis zu strengerer Energie- und Umweltpolitik – für Amerikas neue Rechte alles Teufelswerk. Statt des Klimas rettet sie da lieber ihre Weltsicht, indem sie bereits das Problem bestreitet.
Selbst wenn man den Tea-Party-Anhängern zugutehält, dass sie sich tatsächlich wegen der gigantischen Staatsschulden sorgen, so wie Menschen in anderen westlichen Ländern auch, bleiben ihre Motive schillernd. Tatsächlich erreicht Amerikas Schuldenberg bald die Höhe der gesamten US-Wirtschaftsproduktion: 15 Billionen Dollar. Wie, wenn nicht durch Radikalkritik, könnte der Hang zum immer neuem Schuldenmachen da gestoppt werden? Auch haben sich halbstaatliche Hypothekenfinanzierer wie Fanny Mae und Freddy Mac in der US-Finanzkrise kaum weniger halsbrecherisch verhalten als die Großbanken. Was die Tea-Party-Wortführer jedoch unglaubwürdig macht, ist, dass sie ihre Schuldenangst nie so vor sich hergetragen haben, bevor Obama Präsident war. Dass sie ihn seitdem sowohl für die Fehler von Vorgängern verantwortlich machen als auch dafür, diese korrigieren zu wollen. Und dass sie auf Detailfragen eben mit Ideologie antworten – wenn überhaupt.
Als ich die Sprecherin des »Tea Party Express«, Amy Kremer, einmal um Beispiele bitte, was sie an Obamas Gesundheitsreform störe, ernte ich nur einen Wortschwall hohler Formeln: Es gehe nicht um Details, es gehe um Werte, um Prinzipien und Patriotismus, ums Amerikanischsein, ereifert sie sich. Und als ich den Tea-Party-Freund Steven King frage, auf welcher Seite des Gesundheitsreformgesetzes, das laut seinem tobenden Fraktionschef Boehner kein Demokrat je gelesen habe, er denn zu dem Schluss gekommen sei, dass es nichts tauge, sagt er wörtlich: »Auf keiner. Das wusste ich bereits beim Deckblatt.«
Es ist der gleiche Antiregierungsreflex, der mich einmal auf einer Drehreise verblüffte, als Washington gerade den Gebrauch krebserregender Transfette
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