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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Scherer
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Anfragen vorlagen. »Wer soll hier noch mit Freude wohnen«, fragt er, »wenn durch die Fenster Ölgestank hereindringt?« Und wie lange würde es dauern, bis alles wieder sauber wäre? Er wolle gar nicht wissen, welche Gifte da ins Holz eindringen würden, wenn die Brühe sich erst zwischen den Stelzen staue.
    Dann findet Dauphins Feuerwehr die ersten Vorboten. Pflaumengroße Teerklümpchen, die das Meer angespült hat. Doch kampflos wird sich die Insel nicht ergeben. Penibel sammeln Freiwillige, von einem Anwohner-Netzwerk eingeteilt, jedwedes Strandgut ein, damit es nicht bald ölgetränkt herumliegt. Auf der anderen Inselseite sind Uniformierte angerückt und schaufeln Furchen für eine Mauer aus Schotter, den sie in Maschendraht-Quader füllen. Der Armeesprecher erklärt mir, dazu würden Substanzen eingefüllt, die Öl binden könnten. »Fragen Sie mich nicht, ob es funktioniert«, sagt er, »dafür bin ich nicht klug genug.«
    Den Militäreinsatz verdankt Dauphin freilich nur seinem Status als Naturreservat. Im Sumpfgebiet hinter den Stränden nisten Weißkopf-Seeadler. Vom Alligator bis zur Schildkröte reicht die Artenfülle. »Man könne doch die Tiere und zugleich die Häuser schützen«, wendet sich Stan Graves an den Stadtinspektor, als der zur Ortsbegehung an den Stelzenhäusern ankommt. Doch er entscheidet anders. »Unser Hauptanliegen ist ein intaktes Rückzugsgebiet für die Tiere, wenn das Öl ankommt«, erläutert er den Anwohnern. »Wenn wir schon hier vorne den Sand aufschütten, würde er niemandem nutzen. Das Meer hätte ihn binnen Stunden weggespült, und das Öl wäre durch.«
    Die Anwohner sind deprimiert. Von jetzt an können sie nur noch auf günstige Winde hoffen. Da erst fällt mir die kleine Schrifttafel über dem Panoramafenster auf, die Stans Urlaubern stets sorgenfreie Strandtage versprechen sollte: »Life is good on the beach.«
    Shanksville
     
    Vieles spricht dafür, dass es in Amerika nicht nur weitere Umweltkatastrophen geben wird, sondern dass auch die Zahl der Buschfeuer steigt, der Hurrikane und der Überflutungen von Flüssen wie dem Mississippi. Die sogenannte Extremwetter-Prognose der Klimaforscher warnt ausdrücklich davor. Doch auch planbare Termine führen uns als Berichterstatter an Orte, die wir sonst kaum aufgesucht hätten. Am zehnten Jahrestag der Terroranschläge auf das New Yorker World Trade Center ist es der 250-Seelen-Fleck Shanksville in Pennsylvania, den ich so kennenlerne.
    Für eine Sondersendung über die Gedenkfeiern besetzen wir nicht nur Live-Positionen am Ground Zero in Manhattan, sondern auch am Washingtoner Pentagon, in das die Entführer das dritte Flugzeug gelenkt hatten, und eben nahe Shanksville, wo ein viertes in ein Feld gestürzt war.
    Wir hatten in den Vorjahren diesen Blickwinkel oft vernachlässigt. Aus New York gab es stets die stärkeren Fernsehbilder. Dort starben zudem die meisten Menschen. Shanksville blieb außen vor. Markantes war dort nicht zu erkennen, und wenn die US-Networks Bilder von Wiese und Blumenkränzen anboten, waren sie fast immer verregnet.
    Das Wetter zumindest sollte sich auch im zehnten Jahr nicht ändern. Nach drei Autostunden überqueren wir die Grenze zwischen den Bundesstaaten Maryland und Pennsylvania. Die alten, waldreichen Mittelgebirgsrücken der Appalachen, die wir kreuzen, bieten zwar hier und da herrliche Ausblicke, die nachempfinden lassen, warum deutsche Auswanderer in den Senken dazwischen gerne blieben. Aber je weiter wir nach Westen vorrücken, desto grauer verdichtet sich der Himmel. Seit Tagen melden Städte jenseits von Pittsburgh Hochwasser. Schlechte Vorzeichen für ein Ereignis unter freiem Himmel.
    Obwohl wir uns schon Monate zuvor um eine Unterkunft bemüht hatten, waren die wenigen Quartiere ausgebucht. Deshalb nächtigen wir fast 50 Kilometer entfernt, um am nächsten Morgen nach Shanksville zurückzufahren, wo die Familien der Anschlagsopfer eine neue Gedenkstätte einweihen. Früh stehen wir für die Pressepässe an. Da regnet es bereits in Strömen. Die Organisatoren sind Nationalpark-Ranger, die das Gelände künftig betreuen, dazu der Pressestab des Weißen Hauses, weil auch der Präsident einen Kranz niederlegen wird, und der Geheimdienst, der dafür sorgen muss, dass sich kein Attentäter nähert und nirgendwo eine versteckte Bombe lauert.
    In einem der Nachbarorte treffen wir uns zuvor mit einem pensionierten Polizeibeamten, der vor zehn Jahren die entführte Maschine des

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