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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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diese Art ging der Nachmittag in den Abend über, bis Augusta schließlich bedauernd erklärte, nach St. James aufbrechen zu müssen. Sie verabredeten für den nächsten Tag einen Gang durch den Boulevard von St. Paul’s.
     
    Byron überraschte sich dabei, sogar eine Viertelstunde vor dem ausgemachten Zeitpunkt vor der Kathedrale zu stehen. Er mußte warten, denn Augusta verspätete sich etwas. Als sie endlich ein wenig atemlos ankam, entschuldigte sie sich und erklärte, die Prinzessin habe sie nicht eher gehen lassen.
    »Die arme Frau war buchstäblich ausgehungert nach Neuigkeiten vom Landleben.« Sie kniff ihn leicht in den Arm. »Du hast mir noch überhaupt keine Fragen in dieser Richtung gestellt, du Ungeheuer, dabei gibt es so viel zu erzählen - die Kühe haben sich doch tatsächlich entschlossen, in diesem Jahr nur schwarzgefleckte Kälber zur Welt zu bringen!« Er schnitt eine Grimasse und flüsterte ihr zu: »Hier in London sind die Neuigkeiten wesentlich aufregender - schau nicht zur Seite, aber da geht gerade eine. Lady Beaumont überlegt sich ernsthaft, ob sie nicht die Schneiderin von Mrs. Eaton bestechen könnte. Da aber Lord Beaumont noch tief in den Schulden steckt, die er gemacht hat, um Beau Brummel seinen Koch abspenstig zu machen, ist sie im Moment noch verhindert.«
     
    Diesen Augenblick nützte Lady Beaumont, um mit einem begeisterten Aufschrei den gefeierten Dichter und seine Schwester zu entdecken. »Oh, Lord Byron - Sie hier? Nein, daß man Sie auch einmal wiedersieht! ›Der Giaur‹ ist einfach hinreißend, ich konnte mit dem Lesen überhaupt nicht aufhören, obwohl Edward meinte… aber da haben wir ja auch Mrs. Leigh.« Lady Beaumont würdigte Augusta, die sie durch einige Hofempfänge vom Sehen her kannte, eines kurzen Nickens. Sie holte ihr Lorgnon, das in dieser Saison auch bei Damen mittleren Alters in Mode gekommen war, hervor und betrachtete die Schwester des Berühmten angelegentlich.
    »Guten Tag, meine Beste. Was gibt es Neues auf dem Lande?«
    Byron sah Augusta mühsam einen ehrenhaften Kampf mit einem äußerst unpassenden Lachanfall ausfechten. Ihre feinen Nasenflügel bebten, als sie schließlich antwortete: »Oh, Lady Beaumont, die Neuigkeiten in der Stadt sind doch viel aufregender. Mein Bruder hat mir eben einige wirklich faszinierende Einzelheiten erzählt.« Sie kniff ein Auge zu und wandte sich unschuldsvoll an Byron. »Nicht wahr, Georgy?« Ihre Stimme klang honigsüß, und er hatte gerade noch Zeit, sie in die Rippen zu stoßen, als Lady Beaumont voll freudiger Erwartung fragte:
    »In der Tat, Lord Byron? Was denn zum Beispiel? Ach, ich sterbe vor Neugier - falls Sie sich nicht wieder über den armen Southey lustig gemacht haben. Der Mann wird neuerdings ganz einfach unterschätzt, aber die Nachwelt wird ihm schon Gerechtigkeit zuteil werden lassen.«
    »Die Nachwelt, Lady Beaumont«, erwiderte Byron, »schätzt es im allgemeinen überhaupt nicht, wenn man ihr Lorbeeren hinterläßt - noch dazu verwelkte Lorbeeren.« Er sah die Kampfeslust in ihren Augen aufsteigen, denn Lady Beaumont galt als eine überzeugte Anhängerin aller Seepoeten. Da er aber weder über Robert Southey noch über den Rest der »Tümpelfanatiker«, wie er sie bei sich nannte, diskutieren wollte, flüchtete er in die bequemste Ausrede, die ihm zur Verfügung stand. »Wenn Sie uns jetzt entschuldigen, Mylady, mein Fuß schmerzt vom längeren Stehen immer etwas.« Lady Beaumont verwandelte sich wieder in eine eifrige Bewunderin des tragischen Genies und wurde die Fürsorge in Person. »Aber natürlich, Lord Byron, natürlich.«
    Kaum war sie außer Sicht, murmelte Augusta: »Feigling.« »Wenn du noch einmal Georgy zu mir sagst, Gus, lege ich dich übers Knie.« Sie blieb vor einem Stand mit Tabaksdosen stehen. »Ich zittere jetzt schon. Weißt du, ich habe dich so genannt, als ich noch klein war, bevor meine Großmutter mich wegholte.« Er runzelte die Stirn. »Daran kann ich mich nicht erinnern«, sagte er ärgerlich, »wie habe ich dich genannt?« Sie lächelte. »Du warst ja noch nicht drei Jahre alt. Ich glaube, du sagtest Ada.«
    Gemeinsam schlenderten sie zwischen den zahlreichen Buden und Ständen herum. St. Paul’s, ursprünglich ein kleiner Markt für das Bürgertum, war in den letzten Jahren zum Promenadeort der Dandies und ihrer Damen geworden. Dementsprechend sah das Angebot aus: es gab Handschuhe, Parfüms, vergoldete Käfige mit echten oder ausgestopften Singvögeln, Krawatten

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