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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Komplikationen und Schwierigkeiten, über die man nachdenken mußte, zu genießen. Und sie hatte ihren Bruder wiedergefunden.
    Es war wunderbar, jemanden zu haben, der einen so vollkommen verstand. Sie wußten beide, daß die Welt verrückt war, und jeder Versuch, sie wirklich ernst zu nehmen, verursachte nichts als sinnlose Melancholie. Byron hatte sich rein äußerlich seit ihrer letzten Begegnung ziemlich verändert. Er war zu einem jungen Mann geworden, dessen Äußeres an die Statuen griechischer Athleten erinnerte. Kein Wunder, dachte sie, daß die Frauenwelt ihm zu Füßen lag.
    Byron und Augusta hatten beide die typischen Familiengesichtszüge, die klassische Nase, die hohe Stirn und den großzügigen Mund. Während Augusta dadurch keine ausgesprochene Schönheit war, verliehen sie ihm etwas Edles: dazu kamen das arrogante Kinn und die immer spöttisch dreinschauenden Augen, die die undurchsichtige grüne Farbe des fernen Hochlands hatten. Seine Haare waren dunkler als ihre, fast schwarz (hier setzte sich das Erbteil der schottischen Catherine durch), doch sie hatte bemerkt, daß sich bei ihm trotz seiner fünfundzwanzig Jahre schon eine graue Strähne einschlich.
    Sie versuchte sich die Frau vorzustellen, die er einmal heiraten würde. Welchen Charakter sie wohl haben müßte? Was für eine Art Mädchen paßte überhaupt zu ihm? Sie ging im Geist all ihre Londoner Bekanntschaften durch und kam zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Augusta zuckte die Achseln und wandte sich ihrem Ballkleid zu. Da sie längere Zeit nicht die Mittel - oder den Leichtsinn - besessen hatte, sich der Mode gemäße Abendroben zu beschaffen (außerdem, mit wem sollte sie schon tanzen?), war es noch mehr in der Taille und nicht unter dem Busen verengt. Als Georgiana ein Jahr alt wurde, hatte sie es sich angeschafft - und bei ihrem Besuch in Derby getragen.
    Immerhin, sie fand, daß die grüne Farbe ihr gut stand. Der Satin fühlte sich sehr angenehm auf der Haut an. Im übrigen, hatte Byron nicht irgendwann einmal gesagt, er könne sie sich sogar in diesen ausladenden Prachtroben der alten Zeit vorstellen?
    Augusta dankte dem Himmel, daß sie nicht klein war. Eine kleine Frau würde in diesem doch ziemlich eng geschnittenen Kleid, das nicht nur die Taille, sondern auch die Beine betonte, wie eine Aufziehpuppe wirken.
    Nachdem sie sich angekleidet hatte, ließ sich Augusta von der Zofe, die ihr im St. James Palace zustand, frisieren. In Six Mile Bottom tat sie das selber oder bemühte allenfalls die Nanny.
    Aber heute genoß sie es, die raschen, geschickten Hände zu spüren, die ihr mit Kamm und Bürsten durch das Haar fuhren und danach die Frisur zusammenstellten» die sie sich gewünscht hatte. Obwohl das arme Mädchen - das schließlich noch mehr Hofdamen, die sich keine eigenen Zofen leisten konnten, versorgen mußte - sichtlich überlastet war, fand Augusta, daß sie ihre Sache sehr gut gemacht hatte.
    Ihr Haar war zu einer losen Krone aufgesteckt und löste sich nach vorne in Locken auf, die ihrem Gesicht seine vage Herbheit nahmen. Sicher, etwas bedenklich für eine Ballnacht, aber sie würde ohnehin nicht sehr viel tanzen, da ihr Bruder es nicht konnte.
     
    Sie hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, sich auf einer Couch niederzulassen, die Gäste zu studieren und sie den verschiedensten Gegenständen zuzuordnen. »Eine Flasche«, sagte Byron heute, als Lord Glenverbie vorbeiging, »eine blinkende, blitzende, rundlichliebäugelnde Whiskyflasche - älterer Jahrgang.«
    »Und Lady Glenverbie?« Er zog die Brauen hoch.
    »Westminster Abbey!« Augusta überlegte sich eine Bezeichnung für den König der Dandies, Beau Brummel in höchst eigener Person. »Achtung - Verehrer von rechts!« flüsterte sie. Es handelte sich jedoch nicht um einen Verehrer, sondern um den Gruselromanautor Matthew Lewis, nach seinem Sensationsroman Mönch genannt und gut mit Byron bekannt, der jetzt auf die Geschwister zusteuerte. Byron warf einen Blick in seine Richtung und erschauerte. »Schlimmer - Mönch Lewis.«
    Lewis war eigentlich ein netter Kerl, aber mit seinen endlosen Geschichten tödlich langweilig und der Alptraum jedes Gastgebers. Da er aber die wichtigsten Voraussetzungen für eine Abendgesellschaft erfüllte - bekannt zu sein und Erfolg gehabt zu haben -, lud man ihn trotzdem ein und hoffte darauf, daß er schon irgendein Opfer fand. In diesem Fall traf es Byron.
    »Hallo, Mönch. Scheußliches Wetter in der letzten Zeit, nicht wahr?«

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