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Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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und Reitpeitschen, Spazierstöcke (aus Weißdornholz!) für die Herren - jeder modische Tand, der zu finden war. Byron kannte St. Paul, er wußte, daß auch Augusta schon öfter dortgewesen sein mußte, aber die Begeisterungsfähigkeit, mit der sie alles sah, ließ auch ihn den Boulevard neu erobern.
    Sie probierte schlechthin alles, von spitzenbesetzten Handschuhen bis zu einem gräßlichen Hut, der nur aus rosaroten Blüten bestand. Augusta versicherte, sie würde ihn anläßlich der nächsten bei Hof veranstalteten Jagd tragen, und weidete sich an Byrons entsetztem Gesicht, Dann erklärte sie dem erfreuten Verkäufer, dies kostbare Stück sei doch zu schön für sie, und wanderte zum nächsten Stand, wo man die verschiedensten Schmuckstücke erwerben konnte. Dort gab es zwei sündhaft teure Medaillons, beide aus zartem Filigransilber gearbeitet und eines schöner als das andere, die sie ernsthaft in Versuchung führten. Doch schließlich wollte sie tatsächlich etwas kaufen, ohne sich in allzu große Ausgaben zu stürzen.
     
    Endlich erstand sie für Georgiana und Augusta Charlotte zwei künstliche Singvögel, die nur aus kleinen zusammengenähten Seidenkissen bestanden und so wirkten, als würden sie trotz ihres delikaten Aussehens nicht so schnell kaputtgehen. Für das Baby Henry gab es eine hübsch lackierte Rassel, die sich auseinandernehmen ließ und in ihrem Inneren weitere, immer kleiner werdende Kugeln barg. »Einen Knebel haben Sie nicht?« fragte Augusta mit einem Seitenblick auf Byron. Für George Leigh und die Nanny bedurfte es längerer Überlegungen. Dann wechselten ein zart gemusterter Schal und eine elegante Herrenkrawatte den Besitzer. Byron konnte es sich nicht verkneifen, zu bemerken: »Eine Börse, die nur du öffnen kannst, wäre angebrachter.«
    »George tut, was er kann«, erwiderte Augusta, mit einem Mal völlig ernst. Byron sah leichte Schatten in ihrem Gesicht. Ein wehmütiger Zug lag um Mund und Augen. »Glaubst du das wirklich, Gus?«
    »Er glaubt es«, sagte sie beinahe abweisend.
    »Es ist nicht seine Schuld, daß er vollkommen unfähig für Dinge wie Verwaltung und Geldgeschäfte ist. Wir kommen sehr gut miteinander aus, und ich habe ihn gern.« Byron biß sich auf die Lippen. Ihm lag die Frage auf der Zunge, ob Sympathie für eine Ehe genüge, in der einer sich um nichts, der andere dagegen um alles kümmerte.
    Aber er wollte Augusta nicht verärgern und sagte deswegen ablenkend: »Ich habe auch Schwierigkeiten mit Newstead Abbey.
    Hanson meint, der Besitz ließe sich so nicht länger halten, und beschwört mich, ihn zu verkaufen.« Im geheimen hatte Byron schon oft bedauert, daß er dem ehernen Gentlemankodex der Zeit gefolgt und seinem Verleger Murray auch die Autorenrechte an Childe Harald und allem, was er danach geschrieben hatte, gegeben hatte - getreu der Vorstellung, ein Adeliger könne sich zwar mit Dichtung beschäftigen, aber doch nicht Geld damit verdienen. Damit wäre er in den Augen der Gesellschaft zum berufsmäßigen Skribenten herabgesunken - und hätte Newstead sanieren können. Nun ja, geschehen war geschehen.
    »Wem sehen deine patriotischen Wohltaten ähnlich«, fragte er seine Schwester, »dir oder George?« Augusta verzog das Gesicht. »Das ist die typische Frage eines Junggesellen. Kinder ähneln in diesem Alter noch überhaupt niemandem, nur sich selbst. Sie sind eigenständige kleine Wesen. Georgiana beispielsweise hat eine Stupsnase und große, klare Augen. Die kleine Augusta dagegen sieht aus wie eine kleine Chinesin, und genauso bewegt sie sich auch - sie geht nicht, sie trippelt. Und Henry… o dear, Byron, da drüben verkaufen sie Kartenspiele.«
    »Spielst du?« fragte er überrascht. Sie lachte. »Man kann nicht mit George verheiratet sein und Whist nicht kennen. Allerdings gilt seine Aufmerksamkeit hauptsächlich den Pferdewetten.
    Und ich spiele prinzipiell nicht um Geld.« Sie zog ihre Handschuhe aus und ließ sich eines der angebotenen Kartenspiele geben. Dann mischte sie, so schnell, wie er es bisher nur bei Scrope Davies gesehen hatte. Fasziniert beobachtete er ihre langen, schlanken Finger, die flink und dennoch behutsam mit den eilenden Spielkarten umgingen. Augusta hatte wunderschöne Hände, schmal und trotzdem kräftig. Sie begann, die Karten auf dem rauhen Verkaufstisch auszulegen. Er sah das Muskelspiel unter ihrer Haut, nicht blaß und hell wie seine eigene, sonder ein Schmelzton zwischen Gold und Braun. »Mein Zigeunerteint«, hatte

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