Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Wahnsinn, der das Herz zerfrisst

Titel: Wahnsinn, der das Herz zerfrisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
ein wenig und sagte mit einer leichten Grimasse: »Du weißt nicht, wie sehr ich mich davor fürchtete, du könntest mich mit Handkuß vor dem Personal empfangen, du weißt schon ›meine liebe Augusta, ich bin ja so erfreut, dich wiederzusehen‹.« Sie ließ die Mundwinkel hängen und bemühte sich ernsthaft, wie ein würdiger Dackel auszusehen. Er zog die Brauen hoch. »Und ich hatte Angst, du kämst als behäbige Matrone mit mindestens drei Bibelsprüchen auf den Lippen.«
    Sie lachte. Er bemerkte verdutzt, daß sie zu den Personen gehörte, die mit dem ganzen Körper lachen konnten, nicht nur mit dem Gesicht. Ihre Knie preßten sich aneinander, das Kinn hob sich und ließ ihre Wangen nur noch aus Grübchen bestehen.
    Selbst die Hände schienen an ihrer Heiterkeit teilzuhaben und flatterten auf dem Teppich. »Mit der würdigen Matrone liegst du gar nicht so falsch.« Plötzlich schien sie der Kummer in Person zu sein. »Ich werde auch älter, Georgy.«
    »Sicher«, erwiderte er todernst, »ich sehe da fast nur noch graue Haare, lauter Runzeln, und die Gicht kann auch nicht mehr weit sein.«
    »Wie kannst du nur so gemein zu mir sprechen!« protestierte sie. »Gicht! Das Rheuma ist es, das mir Kummer macht!« Er beobachtete ihre fliegenden braunen Haare und fühlte sich entspannt und vollkommen glücklich. »Gus«, sagte er zärtlich. »Gans. Liebes Gänschen.«
    »Baby Byron!« Sie blinzelte ihm zu. Ihre Augen waren dunkelgrau, fast schwarz.
    »Ich muß wirklich ein Ekel gewesen sein, damals. Aber es war tatsächlich nicht böse gemeint.« Sie mimte die Überraschte.
    »Damals?! Wenn deine Mutter so reiselustig wie du gewesen wäre, hätte sie dich in der Türkei auf dem nächsten Sklavenmarkt verkauft!« Sein Lachen klang dunkel und volltönend, und ließ keine Gedanken für etwas anderes. »Sie hätte ein schlechtes Geschäft gemacht. - Sag mal, Gus, woher wußtest du eigentlich, daß ich wieder im Lande war, als du mir schriebst?«
    »Tante Sophia.«
    Er sah irritiert aus. »Kennst du sie denn nicht?« fragte Augusta.
    Byron schüttelte den Kopf. »Nicht daß ich wüßte. Das heißt… möglicherweise habe ich sie ein- oder zweimal in Aberdeen gesehen. Ich bin mir nicht sicher. Wie sie mit uns verwandt ist, weiß ich natürlich.«
    »Also du kennst sie nicht wirklich?« Augusta sprang auf. »O dear, dann hast du ja keine Ahnung von der wahren Familienchronik.« In ihren Augen blitzte etwas. Sie schnappte sich einen seiner herumliegenden Spazierstöcke, stützte sich darauf, ihre Schultern rutschten nach vorne, sie legte den Kopf leicht zur Seite und glich mit einem Mal tatsächlich verblüffend einer alten Frau.
    »Mein lieber Junge, habe ich dir schon erzählt, daß dein Cousin Robert einen Schnupfen hat? Ach, das erinnert mich an meinen Urgroßonkel väterlicherseits, den seligen Dick Byron - Dick der Dicke, versteht sich. Er hatte es auch mit der Nase, die ganze Zeit war sie entzündet, und er stritt sich deswegen mit seinem Bruder, George dem Raffer. Dieser hieß so, weil er aus purer Bosheit immer alle Taschentücher in der Gegend zusammenraffte und versteckte, sowie Dick der Dicke sich blicken ließ.
    All das hatten sie natürlich von ihrem Vater, Lord Byron dem Hungrigen, der… aber was sehe ich da?! Du folgst meinen Ausführungen nicht mit dem nötigen Ernst, Junge. Du lachst gar?
    Sei gewiß«, sie nickte heftig mit dem Kopf, »gar finster und blutig ist die Geschichte der fluchbeladenen Byrons, angefangen von John dem Zahnlosen, der…«
    »Hör auf, Augusta«, ächzte ihr Bruder, »ich kann nicht mehr.
    Du meine Güte!« Er applaudierte. »Ich werde dich an das Drury Lane Theater empfehlen, Gus. Wußtest du, daß ich im Komitee bin?«
    »Ich möchte Mrs. Siddons nicht arbeitslos machen«, antwortete Augusta und setzte sich wieder. »Du weißt nicht, was ich für diese Frau nicht schon alles getan habe. Von Sheridan bis Sotheby hat mich jeder angefleht, doch die Hauptrolle in seinem neuen Stück zu übernehmen, und nur um der guten Sarah nicht weh zu tun, wies ich sie alle ab.«
    »Besteht gar keine Möglichkeit, daß Sie Ihre Meinung ändern, Madame?«
    fragte Byron und verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Augusta winkelte ihren rechten Arm an und stützte in einer schwermütigen Pose ihren Kopf darauf. »Nun, wenn jener unbedeutende Schreiberling Lord Byron es fertigbrächte, für mich eine Tragödie zusammenzustellen, würde ich es mir vielleicht noch einmal überlegen.«
    Auf

Weitere Kostenlose Bücher